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Von Trier im Babylon-Mitte.

© dapd

Mit Ansage: Lars von Trier provoziert in Berlin: „Wir sind alle Nazis“

Das "enfant terrible" im Berliner Babylon. – Lars von Trier als Publikumsliebling, Cineastentraum und persona non grata.

Eigentlich sind die Herren zu beneiden. Drei ausgewiesene Filmexperten, Hanns-Georg Rodek, Filmredakteur der „Welt“, Friedemann Beyer, Kurator, und Timothy Grossmann, Geschäftsführer des Babylon, sitzen mit einem der bedeutendsten Filmregisseure auf einem Podium. Ein Cineastentraum. Außer es handelt sich um Lars von Trier. Früh hat sich der Däne als enfant terrible einen Namen gemacht, später als Frauenfeind und Sadist, neuerdings als Nazi. Berechenbar nur in seiner Unberechenbarkeit.

Und Lars von Trier enttäuscht nicht. Ein ums andere Mal lässt er seine Gesprächspartner unsanft auflaufen, will sich etwa an keine frühen filmischen Eindrücke erinnern. Er antwortet ausweichend, abschweifend, muss immer wieder eingefangen werden. Er legt längere Kunstpausen ein und spricht erst weiter, wenn wieder jemand zu einer Frage anhebt. Nach einer Stunde stellt er fest, es sei noch nichts von Belang gesagt worden, und bittet die Diskutanten, ihn doch etwas mehr zu fordern.

Der johlenden Zustimmung des Publikums kann Lars von Trier sich sicher sein. Vermutlich sind auch die Herren auf dem Podium insgeheim zufrieden, dass sich der hohe Gast in Topform zeigt, wenn auch hier und da auf ihre Kosten. Schließlich erfüllt er, indem er sich den Konventionen eines solchen Gesprächs verweigert, die Erwartungen. Nebenbei gewährt er immer wieder erhellende Einblicke in seinen kreativen Prozess. Über die wichtige Rolle, zum Beispiel, die Regeln, Verbote und Hindernisse für ihn spielen.

Er brauche Regeln, so der antiautoritär erzogene von Trier, um sich an ihnen abzuarbeiten: „Insofern war es ein Glücksfall für mich, auf eine Filmschule zu gehen, an der alles verboten war.“ Das Prinzip, dass aus Beschränkungen schöpferische Freiheit entsteht, ist prägend für seine Arbeit. Gemeinsam mit Thomas Vinterberg verfasste er 1995 das Dogma-Manifest, das unter anderem den Einsatz von künstlichem Licht, Kamerastativen und Filmmusik verbietet. In „Idioten“ (1998) hält er sich an die zehn Gebote seines „Keuschheitsgelübdes“, weltweit sind mittlerweile 39 Dogma-zertifizierte Filme entstanden.

Auch in „The Five Obstructions“ (2003) geht es um Beschränkungen und ihre kreativen Effekte, wenn von Trier seinen Freund und Mentor Jørgen Leth herausfordert, einen frühen Kurzfilm unter veränderten Regeln wieder und wieder neu zu erschaffen. „Indem man es sich schwer macht“, sagt er, „nimmt man etwas ernst.“ Gefragt, ob das auch für seinen neuen Film „Melancholia“ gelte, der am 6. Oktober im Kino anläuft und zum Auftakt der Retrospektive im Babylon als Vorpremiere gezeigt wurde, wehrt von Trier ab. Er habe Schuldgefühle, weil er die Arbeit daran zu sehr genossen habe. „Filmemachen soll hart sein, aber in diesem Fall war es das nicht“, sagt er. „Ich schäme und entschuldige mich“. Aus dem Publikum möchte jemand wissen, ob er an eine nahende Apokalypse glaube. „Ich hoffe darauf, es wird langsam alles etwas öde“, antwortet von Trier. „Kosmische Katastrophen werden unterschätzt.“ Und wären darüber hinaus wunderbare PR für sein Weltuntergangsdrama „Melancholia“.

Wer in der Hoffnung gekommen ist, einen Eklat zu erleben, wird enttäuscht. Aber wie soll einer, von dem Provokationen erwartet werden, überhaupt noch schockieren? Als er gegen Ende doch noch auf seine Äußerung „Ich bin ein Nazi“ angesprochen wird, für die er im Frühjahr aus Cannes verbannt wurde, hat er das N-Wort bereits dutzendfach bemüht. Er modifiziert seine Aussage zu „wir sind alle Nazis“ und erklärt, dass es wichtig sei, die Mechanismen, die zu faschistischem Denken führen, zu untersuchen, anstatt das Thema zu tabuisieren. Außerdem, stellt von Trier klar, sei er stolz auf seinen Status. „Die goldene Palme vergeben sie in Cannes jedes Jahr, aber wer war zuletzt persona non grata?“

Falls es mit den Filmfestspielen von Cannes, wo seit „Europa“ (1991) fast alle seine Filme ihre Premiere feierten, nicht zur Versöhnung komme, könne er ja künftig zur Berlinale kommen, regt Moderator Grossmann an. Lars von Trier zeigt sich skeptisch. „Man sagt, das Berlinale-Publikum sei so grausam.“ Auf das Publikum im Babylon, das den Meister mit tosendem Applaus verabschiedet, trifft das an diesem Abend nicht zu.

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