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Kultur: Mit dem Kopf im Sand

„Ground and Floor“ im Hebbel am Ufer.

Toshiki Okada ist ein überaus höflicher Mensch. Einer, der die Lage behutsam umschreibt, statt sie zu fixieren. „In meinen Augen befinden wir uns in einer Krise“, sagt Okada beim Gespräch im HAU in apart zusammengepuzzeltem Englisch, „aber eine große Zahl der Japaner scheint sich dessen nicht bewusst zu sein.“ Genau davon handelt auch die jüngste Arbeit des gefeierten Künstlers aus Yokohama. Wenngleich auf der Bühne nie das Wort „Katastrophe“ oder gar „Fukushima“ fällt. „Ground and Floor“ ist ein wundersam schwebendes, musikalisch durchwobenes Traumspiel, das Anleihen beim No-Theater nimmt und leibhaftige Geister über die Bühne wandern lässt. Angesiedelt in ungewisser Zukunft. Es beschreibt eine Gesellschaft im Ruinenzustand und zeigt Menschen, die sich „vor der Welt verkriechen wie eine Schildkröte, die ihren Kopf einzieht“, wie es einmal heißt. Okadas Figuren träumen von einem Krieg mit China und fragen sich, ob sie ihren Kindern die nutzlose japanische Sprache noch beibringen sollen.

Es ist eine grunddüstere Inszenierung. Obwohl sie den fein verschrobenen Humor atmet, der die Arbeiten des 1973 geborenen Regisseurs und seiner Company Chelfitsch wesentlich auszeichnet. Am HAU war das Theater Okadas zu Matthias Lilienthals Zeiten ja regelmäßig zu bestaunen. Der Japaner setzt skurril choreografierte Körperschauspiele auf die Bühne, in denen sich die Performer eigentümlich verrenken und winden, in denen sie wie in Zeitlupe oder auf Scherben laufen und sich vor den Sätzen des Gegenübers wegzuducken scheinen. Vermeidungstänze, die den Zustand der japanischen Gesellschaft auf ihre indirekte Art spiegeln.

In Stücken wie „Hot Pepper, Air Conditioner and the Farewell Speech“ oder „We are the undamaged others“ ging es um die verdrängten Abstiegsängste einer jungen Mittelschicht, die das Platzen der Wirtschaftsblase erlebt hatte. In „Das Leben der Riesenschildkröten in Schallgeschwindigkeit“ beschrieb Okada ein Inselgefühl der vollkommenen Abschottung. Alles vor Fukushima.

Jetzt, in „Ground and Floor“, rückt ein existenzielleres Dilemma in den Fokus. Die Frage „Bleiben oder Gehen?“ wird umkreist in sechs allegorischen Szenen. Eine der Figuren, die schwangere Haruka, spricht es ungewöhnlich deutlich aus: „Das Haus, in dem wir mit dem Kind leben werden, muss ja nicht unbedingt in Japan sein“. Toshiki Okada formuliert damit auch ganz persönliche Sorgen. Er ist nach der Havarie in Fukushima mit seiner Familie aus dem Großraum Tokio in eine tausend Kilometer entfernte Stadt im Westen Japans gezogen. „Aber es geht ja nicht nur um Radioaktivität“, sagt er. „Sondern auch um die soziale und politische Kontamination des Landes“. Okada sieht einen Riss, der durch die Gesellschaft geht. Zwischen denen, die mit den Konsequenzen der Katastrophe ringen. Und jenen, die ihre Augen vor der Realität verschließen und weiterleben wollen wie gehabt. „Ich glaube, es gibt derzeit viele Gründe, pessimistisch zu sein.“ Im Stück kommt ein junger Mann vor, er heißt Yukio und will als Straßenarbeiter am Wiederaufbau des zerstörten Landes mitwirken. Es scheint eine seltsam vergebliche Liebesmüh’ zu sein.

Okada selbst könnte sich durchaus vorstellen, dauerhaft im Ausland zu leben. Sein Theater ist im Westen gefragt, die Kontakte zu Matthias Lilienthal – der ja 2015 die Münchner Kammerspiele übernimmt – bestehen fort, das HAU bleibt eine Basis, den Sommer hat er mit seiner Familie in Berlin verbracht. „Die Stadt wäre eine Möglichkeit“, sagt der freundliche Herr Okada und lächelt. Patrick Wildermann

wieder 24. und 25.10., 20 Uhr, HAU 2

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