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Kultur: Mit den Affen einer Frau

Irgendwo in Afrika: Die 55. Berlinale eröffnet heute mit Régis Wargniers Naturforscher-Epos „Man to Man“

Festival-Eröffnungsfilme sind Spektakelfilme. Sie dienen der Repräsentation dessen, was die Kinomaschine an Schau- und Tonwerten so auszuwerfen in der Lage ist. Und dem Repräsentationsbedürfnis auch jener gesellschaftlichen Repräsentanten, die übers Jahr nicht gar so häufig ins Kino kommen. Der Inhalt des Films spielt eine geringere Rolle; wohl aber müssen Stars her, die der Aufführung – am liebsten: Welturaufführung – und dem Ensemble vielgesichtiger Parkett-Prominenz die höheren Weihen ihrer Anwesenheit geben. Glanz und Glamour! Gloria, womöglich jene fürs Ewigkeitsgedächtnis des Kinos, ist am Eröffnungsabend Nebensache.

So gesehen, liegt Festivalchef Dieter Kosslick mit Régis Wargniers „Man to Man“ erst mal nicht schief. Letztes Jahr, unvergessener Fehlstart eines dann sehr manierlichen und mit dem Goldenen Bären für Fatih Akin gekrönten Festivals, hatte er es mit Anthony Minghellas „Cold Mountain“ zwar gehörig krachen lassen. Nur verpuffte das Spektakel schon vorweg: Die oscar-lobbytechnisch absorbierten Weltstars – Jude Law, Nicole Kidman, Renée Zellweger – waren allesamt nicht erschienen. Diesmal ist Kosslick in dieser Hinsicht auf der sicheren Seite: Régis Wargnier bringt mit seinen Hauptdarstellern Kristin Scott Thomas und Joseph Fiennes ordentlich Sterngefunkel in den Berlinale-Palast. Und „Man to Man“ ist, obwohl in englischer Sprache gedreht, ganz und gar nicht im Oscar-Rennen.

Auch um das Leinwand-Spektakel, auf punktgenau emotionsfördernd orchestrierten Klangteppichen ruhend, muss den Festivalmachern nicht bange sein. Tropische und schottische Wasserfälle schütten um die Wette, Löwen, Affen und Geparde toben in Gehegen, und auf edlen Rössern und in prachtvollen Postkutschen jagen einander die Herzen kultivierter Menschen entgegen. Der besondere Clou: Mit Lomama Boseki als Toko und Cécile Bayiha als Likola sind zwei sehr kleinwüchsige Schwarze in ihren ersten Rollen zu besichtigen. Alles also da in „Man to Man“: Mit Zoo und Zirkus besinnt sich das Festival auf die Ursprünge des Kinos, mit der großen Ausstattungsoper nebst Moral vom edlen Wilden sowie eher schwachen bzw. bösen Weißen sorgt es für formal und thematisch abgesicherten Überbau. Der Rahmen stimmt. Nur: Stimmt auch das Bild?

Irgendwo in Afrika. Genauer: In Zentralafrika, um 1870. Eine Gruppe schottischer Anthropologen um die streng umsichtige Elena van den Ende (Kristin Scott Thomas) und den feuerköpfigen Jamie Dodd (Joseph Fiennes) nehmen mit Hilfe eines freundlich gesinnten Schwarzen-Stamms zwei Urwald-Pygmäen gefangen, um sie daheim in Edinburgh der Forschung zuzuführen. Was zu beweisen wäre: Der Pygmäe ist das missing link, das evolutionäre Verbindungsglied zwischen Affe und Mensch: sehr wölb- und kleinköpfig, leichtgehirnig auch, nicht mehr das Eine, aber ganz und gar noch nicht das Andere. Recht früh erkennt das von der Magie Afrikas angezogene Forscherpaar, dass Pygmäen auch nur – sehr kleinwüchsige – Menschen sind; nur die Forscherkoryphäen-Clique im Mutterland um den düsteren Alexander Auchinleck (Iain Glen) setzt weiter gegen jeden Anschein auf die Hypothese. Und geht dabei notfalls über Leichen – es gibt ja schließlich Formalin.

Ein auch erkenntnistheoretisch spannender Stoff wäre das zumindest für das eher seltene Genre des historischen Wissenschaftskrimis: Doch Wargnier, sagen wir es so unfein, verhunzt ihn von Anfang an. Der 57-jährige Franzose, der in 20 Jahren nur fünf Filme gedreht hat, ist kein Dramatiker, sondern ein Melodramatiker, ein Bilderschwelger, ja, ein bloßer Choreograf der Kino-Gefühle. Gerne führt er Stars – etwa in „Indochine“ (1991) oder in „Eine französische Frau“ (1995) – durchaus aufgewühlt paarweise durch ein erlesenes Historien-Panorama; nur will sich in „Man to Man“ der Stoff zum Melodram so gar nicht fügen. Und das Anthropologen-Abenteuer, das weiblicherseits ins Gouvernantenhafte, männlicherseits ins seltsam Begriffsstutzige driftet, erst recht nicht zur Liebe. Stattdessen treibt die Unversöhnlichkeit der wissenschaftlichen Positionen, bieder chronologisch und in eher tönerne als tönende Dialoge gegossen, bald nur mehr ein Nichts an Handlung voran. Es ist das Prinzip Vorfall, das das Geschehen konturiert, keine den Figuren innewohnende Verve. Und wenn dann eine Überraschung aufschrecken soll, so ist sie als Taschenspielertrick der Dramaturgie ebenso vorhersehbar wie deren Auflösung, die doch auch verblüffen sollte.

Bald sieht sich der Zuschauer, mitten im Pomp, in einem öden Black Witch Project gefangen, in dem die Pygmäen Toko und Likola zumindest visuell noch die seltsamstmögliche Hauptattraktion bilden. Denn sind sie schon zur schicksalsbildenden sowie identifikationsfördernden Rede und Gegenrede nicht fähig, so haben sie doch das Zeug, die Weißen, tja, irgendwie verhexend gegeneinander aufzubringen – womit sogar der Rassismus durch ein Seitentürchen in den Film hineinlugen darf (zu schweigen von einem durchaus riefenstählernen Blick auf gestählte Stammeskrieger). So verwandelt sich, weil das Melodram weder durch ein anderes Genre noch durch die kühne Überwindung von Genres ersetzt wird, irgendwann alles zu Mummenschanz – und da ist es nach dem Daueranblick von vor Folianten faselnden Forschern fast eine Erlösung, wenn Toko irgendwann unshakespearesch knapp sein Leben aushaucht: „Toko gone, Toko dead“ formuliert er verblüffend akzentarm, gepfählt am Hauptmast eines prächtigen Schoners.

Aber da ist auch der Film, der noch einmal hinüberschwenkt nach Afrika und fast schamlos in bereits verbrauchte Bilder, selber schon fast tot und vorbei. „Man to Man“ führt den Wettbewerb um den Goldenen Bären an – und man wird ihn nicht gleich chancenlos nennen dürfen. Ohne den Wahrnehmungshorizont der Jury unziemlich einengen zu wollen: Auch deren Präsident Roland Emmerich, eher ein Freund großer Schauwerte als ausgefeilter Dialoge, ist ein Mann, der das Kino als Virtualien-Jahrmarkt auf seine Weise zur Perfektion geführt hat. Nicht auszuschließen, dass er und die Seinen den Begriff von dem, was auf großen Filmfestivals gemeinhin groß rauskommt, in den days after tomorrow noch fühlbar durcheinander bringen.

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