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Kultur: Mit den Ohren sehen

Künstler bauen Rückspiegel in ihre Werke ein, worin sich Erinnerung verfangen und die Phantasie entspinnen kann. Der Kurator Wolfram Aue, der auch Assistent des Galeristen Max Hetzlers ist, hat diese Beobachtung mit Werken von 18 Künstlern aus der Generation der Dreißig- bis Vierzigjährigen auf diskutables Fundament zu stellen versucht.

Künstler bauen Rückspiegel in ihre Werke ein, worin sich Erinnerung verfangen und die Phantasie entspinnen kann. Der Kurator Wolfram Aue, der auch Assistent des Galeristen Max Hetzlers ist, hat diese Beobachtung mit Werken von 18 Künstlern aus der Generation der Dreißig- bis Vierzigjährigen auf diskutables Fundament zu stellen versucht. "Im Rückspiegel erscheinen die Dinge näher als sie in Wirklichkeit sind", heißt das einem Lied der Rockgruppe Meat Loaf entlehnte Motto der Schau. Darin ist Poesie und Problematik des Phänomens schon halb erschlossen.

Erinnerung ist hier eine Sache der Optik und der Perspektive. Sie entzündet sich durch die Sinne - falls der Stoff genügend Zunder hat. Im Gegensatz zum Gedächtnis, läßt sich unsere Erinnerung nicht kommandieren und geht dorthin, wohin sie von sich aus will. Doch Aue wählte Werke, die sich eher zum Studium eignen, als sie beim Anblick einen unverhofften Film im Kopf produzierten. Das mag auch am Betrachter liegen. Künstler der derzeitigen Hitliste - Thomas Demand, Rineke Dijkstra, Michel Majerus, Manfred Pernice, Jane und Louise Wilson - hätten auch unter dem thematischen Blickwinkel "Portrait" oder "Vorbilder" Profil gezeigt.

Die Kanadierin Cindy Bernard bietet eine Serie reproduzierter Fotos von 1989, die ihr Großvater auf Reisen in Amerika zwischen 1950 und 1979 aufgenommen hat. In einer weitere Fotoserie von 1990 suchte sie die Orte berühmter Filmszenen auf und fotografierte sie im gleichen Licht: die Berge in Fords "The Searchers", das trockene Flußbett in Polanskis "Chinatown" oder die Pinkelwiese kurz vor dem Genickschuß bei Coppolas "Godfather". Große Bilder großer Momente. Doch was die Erinnerung angeht, würde ihr der Bezug zur Musik wohl eher aufhelfen, weil sich da die Atmosphäre des Ganzen entspinnt - wie etwa in der Songzeile der Searchers: A man will search his heart and soul - ride away, ride away, ride away; auch in "Spiel mir das Lied vom Tod" ist die Melodie unwiderstehlicher als ein Foto eines Berges, der wie eine gesplitterte Axt in die Dämmerung ragt. Schon nach dem ersten Ton sieht man Charles Bronson mit der Mundharmonika, hört das Herumsummen der Mücke, schaut in die trügerischen blauen Augen Henry Fondas und so weiter. Bernards Spurensuche an den realen Schauplätzen dokumentiert, was für einen Filmfreak nicht zur wirklichen, sondern zur fiktionalen Welt zählt. Die Erinnerung verwechselt die Kategorien. Die Dokumente fügen sich als Nachschlag zur Fiktionalität des Films. Mythen sind dokumentenresistent. Der Rückspiegel ist in diesem Fall diffus.

Am nächsten kommt der Problematik der Amerikaner David Patton. Er hatte eine alte Platte der Almond Brothers aufgelegt und sie mit dem Finger auf die richtige Geschwindigkeit gedreht. Manchmal leierte es, dann klang das Lied wieder rein und klar wie einst. Besser kann man die Idee von Erinnerung nicht darstellen. Die Performance produziert Bilder, indem sie darauf verzichtet, Bilder zu zeigen. Musik weckt sie, ohne den Abstand von Damals zu Heute vergessen zu machen. Plötzlich sah man mit den Ohren mehr. Das Gros der Werke hat indes mit Wissen und Gedächtnis zu tun: Da ist alles gütlich geordnet und überraschungslos; im besten Fall ein Spiel für Kenner.

Galerie Max Hetzler, Zimmerstraße 89, bis 31. Juli; Dienstag bis Sonnabend 11 bis 18 Uhr.

PETER HERBSTREUTH

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