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Tagesspiegel-Autor Jörg Königsdorf ist mit den Berliner Philharmonikern auf Tour.

© Mike Wolff

Mit den Philharmonikern auf Tour (6): Erziehung mit Mahler

Die Berliner Philharmoniker besuchen Australien. Tagesspiegel-Autor Jörg Königsdorf darf exklusiv mitreisen und berichtet online vom fünften Kontinent. Diesmal beobachtet er, wie Catherine Milliken mit Jugendlichen Mahler übt.

Man könnte glatt glauben, Catherine Milliken hätte sich diesmal absichtlich den verstecktesten Raum von Sydneys Opernhaus ausgesucht.  Treppauf, treppab geht es durch etliche Gänge und Brandschutzbarrieren im Bauch des Utzorn-Baus, bis man endlich in dem kleinen Übungszimmer angelangt ist, wo die Leiterin des Education Projekts der Philharmoniker eine Gruppe australischer Jugendlicher versammelt hat. Konzentration, aber auch eine verschwörerische Stimmung liegen in der stickigen Luft. Seit knapp zwei Wochen hecken die Education Gouvernante und ihre Schützlinge hier ihren Mahler-Remix aus, und schon übermorgen soll das Ergebnis des Workshops im Nordfoyer präsentiert werden. Seit der letzten New York-Reise der Philharmoniker vor vier Jahre gehören Millikens Projekte zu jeder größeren Tournee und sind inzwischen wesentlicher Bestandteil des Philharmoniker-Images. Denn für eine Formation, die nach dem Willen ihres Chefdirigenten das Modellorchester für das 21. Jahrhundert sein soll, reicht es nicht aus, nur im Konzertsaal Höchstleistungen zu erbringen und in der medialen Selbstvermarktung mit der Digital Concert Hall Neuland zu betreten: Auch im Education Bereich will das Rattle-Orchester die Maßstäbe setzen. 

Und wenn man Catherine Milliken beobachtet, merkt man bald, dass die ehemalige Oboistin des Frankfurter Ensemble Modern sowohl den Willen wie auch die Kreativität mitbringt, um dieses Ziel zu erreichen.  Bei Milliken werden die Jugendlichen gefordert und müssen nicht bloß ihr Instrument spielen, sondern gegebenenfalls auch singen, tanzen oder komponieren. Auch der Mahler-Remix hat mit Mahler nur insoweit etwas zu tun, als die ins Englische übersetzten Texte der „Lieder eines fahrenden Gesellen“ die Grundlage einer Neukomposition durch die vier, jeweils aus zehn Schülern bestehenden Jugendgruppen sind.

Der Rest, inklusive der Musik, ist komplett neu und hört sich zwei Tage vor der Uraufführung schon durchaus passabel an: Während der forscheste der Gruppe, ein Posaunist von geschätzten 16, Mahler-Textfetzen vorträgt, illustriert der Rest Naturschilderungen und Weltschmerz mit musikalischen Figuren,  malt Glissando-Fragezeichen in die Luft oder stichelt mit kecken Bläser-Einwürfen. Eigentlich ist das mit der Neukomposition eine ziemlich clevere Idee, schon allein, weil anders als bei klassischer Musik hier kaum einer merkt, wenn in der Aufführung etwas daneben geht. Dennoch ist natürlich der Druck spürbar, am Ende ein aufführungsfähiges Ergebnis zu präsentieren: Mit gezielten Fragen treiben Milliken und ihre Assistenten den Werkfindungsprozess immer wieder an und sorgen für die Ergebnisssicherung, während Philharmoniker-Kontrabassist Edicson Ruiz parallel an der Präzision des Zusammenspiels feilt und den Teenagern musikalische Tipps gibt.  Zeit gibt es hier nicht zu verschenken – aber anders wäre es auch wohl kaum möglich, in zwei Wochen aus einer Gruppe von Schülern ein einigermaßen funktionierendes Musikerensemble zu machen.

Natürlich weiß auch die energische Education Lady, dass ihre Projekte keinen flächendeckenden Musikunterricht ersetzen können, sondern nur eine Idee davon geben können, was in diesem Bereich so alles möglich ist. Und es kann sogar sein, dass die Kreativitätsdemonstration hier in Australien auf besonders fruchtbaren Boden fällt: Während sich bei anderen Philharmoniker-Educationprojekten die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen  schon mal auf das Klopfen irgendwelcher Rhythmen konzentrierte, sitzen hier lauter höfliche Jugendliche um die 16, die alle bereits ein Instrument spielen und klassische Vorbildung besitzen. So was fände man auch in Deutschland nicht mehr  so leicht, räsonniert Milliken. Was die Politiker, die hierzulande die Etats der Musikschulen zusammenstreichen, sich getrost hinter die Ohren schreiben sollten.

Jörg Königsdorf

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