zum Hauptinhalt
Tagesspiegel-Autor Jörg Königsdorf ist mit den Berliner Philharmonikern auf Tour.

© Mike Wolff

Mit den Philharmonikern auf Tour (7): Wiedersehen mit einem Freund

Die Berliner Philharmoniker besuchen Australien. Tagesspiegel-Autor Jörg Königsdorf darf exklusiv mitreisen und berichtet online vom fünften Kontinent. Diesmal über Brett Dean, Australiens erfolgreichsten Komponisten und ersten Philharmoniker-Aussie.

Über mangelnde Anerkennung kann sich Brett Dean dieser Tage nicht beklagen. Nach jeder Aufführung von „Komarov’s fall“ auf der Philharmoniker-Tour geht die Applausstärke noch einmal merklich nach oben, wenn sich der Komponist verbeugen darf, und auch an diesem Nachmittag beim Extrakonzert der 12 Cellisten feiern die Australier den liebenswürdigen Graubart nach der Aufführung seiner „12 angry men“. Das liegt vermutlich zum kleineren Teil an den Werken selbst, auch wenn sowohl das Orchesterstück über den ersten Weltraumtoten der Geschichte wie auch das streitlustige Cello-Opus durchaus originelle und klangschöne Musik sind.

Eher scheint in dem Applaus  jedes Mal eine gute Portion Stolz mitzuschwingen: Denn Brett Dean ist nicht nur Australiens derzeit in der Welt erfolgreichster Komponist, sondern war auch der erste Australier, der es bis zum regulären Mitglied der Philharmoniker schaffte. 1985, in der Spätzeit der Ära Karajan, wurde er Mitglied der Bratschengruppe – und seither ist er für die kleine, aber sehr gut vernetzte australische Klassikszene der Local hero. Denn gerade weil man sich hier manchmal sehr weit weg von den Gravitationszentren der Kultur fühlt, ist man umso stolzer auf alle australischen Klassik-Interpreten, die es in Europa nach oben schaffen: Auf Joan Sutherland und Simone Young, aber auch auf die beiden derzeitigen Philharmoniker-Aussies, den Solokontrabassisten Matthew MacDonald und den geiger Stanley Dodds. Und eben auf Brett Dean. Damals, erinnert er sich, war es noch eine kleine Revolution, als er zur Probe ohne Anzug und Krawatte erschien oder als seine Frau die Karajan-Konzerte mit Punkfrisur besuchte. Das scheint heute kaum mehr vorstellbar und rückblickend kann man den 49-jährigen wohl als einen der ersten sehen, der für den neuen Philharmoniker-Typus der Nach-Karajan-Zeit  stand. Wozu eben auch gehört, dass die Stellung im Orchester allem Prestige zum Trotz nicht mehr die alternativlose Lebensperspektive für die Musiker ist. Nicht wenige Philharmoniker haben ihrem Orchester in den letzten fünfzehn Jahren den Rücken gekehrt, sind Hochschullehrer, freie Solisten und Dirigenten geworden – und auch Dean gab den Orchesterjob nach vierzehn Jahren auf, um sich ganz seiner Komponierleidenschaft zu widmen.

Man ist offenbar nicht nur in gegenseitigem Einvernehmen, sondern sogar in bester Freundschaft geschieden: Hier in Australien bewegt sich der Mann aus Brisbane unter den Philharmonikern so vertraut, als würde er noch mit dazu gehören, und gibt Simon Rattle in der Probe noch einmal ein paar Tipps für die richtigen Tempi bei „Komarov’s fall“. tatsächlich kehrt er sogar alle zwei, drei Jahre für ein Konzert noch einmal an sein altes Bratschenpult zurück. Mehr noch, mit einem Halbdutzend Werken, die er mittlerweile für seine ehemaligen Kollegen geschrieben hat, ist Dean fast so etwas wie ein Hauskomponist der Berliner Philharmoniker.

Und wenn das Orchester oder eine der Kammermusikgruppen ein neues Werk bei ihm bestellten, wissen sie, dass keiner den besonderen Philharmoniker-Sound so gut kennt wie er. Natürlich hat er aus der Ferne auch die Debatte um den Verlust des alten Philharmoniker-Klangs verfolgt, die vor ein paar Jahren durch die Feuilletons geisterte. Es sei nun mal so, dass der One-Size-fits-all-Sound der Karajanzeit heute nicht mehr möglich sei, meint er achselzuckend. Eine Haydn-Sinfonie etwa müsse man inzwischen einfach anders spielen. Aber bei Brahms‘ Zweiter , die die Philharmoniker hier gespielt hätten sei der alte Sound des Orchesters noch voll da. Zu seinem alten Job ans Bratschenpult zurückkehren möchte Dean freilich nicht. Dazu ist er wohl als Komponist schlichtweg zu erfolgreich. Und die Philharmoniker kann er inzwischen ja auch in Australien hören.

Jörg Königsdorf

Zur Startseite