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Kultur: Mit doppeltem Boten

Triumph: „Die Perser“ im Deutschen Theater Berlin

Zwei bis ins letzte Knopfloch identische Politclowns schreiten auf diplomatischem Parkett an die Bühnenrampe. Getrennt durch eine bewegliche Wand, übt man sich grinsend im Schulterschluss, lehnt sich dabei ganz versehentlich ans mobile Element und verschiebt die Grenze zu seinen Gunsten. Samuel Finzi und Wolfram Koch, ein Dreamteam schon in Dimiter Gotscheffs DT-Inszenierung „Volpone“, machen aus dem archetypischen Verteilungskampf eine Clownsnummer auf höchstem Niveau.

Schon mit diesem Prolog, einer Art vorweg genommenem Satyrspiel, trifft Gotscheff sein Sujet – „Die Perser“ des Aischylos – ins Mark. Man muss sich den exzeptionellen Charakter dieser ersten vollständig überlieferten Tragödie der Weltliteratur vergegenwärtigen: Statt des üblichen Mythenmaterials speisen sich „Die Perser“ – erste Ausnahme – aus einem historischen Ereignis: der Schlacht bei Salamis, die das persische Eroberervolk 480 v. Chr. unter Führung des Königs Xerxes gegen die Griechen verlor. Aischylos selbst hatte auf siegreicher Seite mitgekämpft – und das Geschehen, zweite Sensation, in seiner Tragödie aus der Perspektive der Verlierer geschildert. Der griechische Triumph gespiegelt in der persischen Niederlage: Im gegenwärtigen Sieg scheint die künftige Gefährdung auf.

Geradezu schwindelerregend modern vollziehen „Die Perser“ eine unendliche Spiegelungsbewegung: Xerxes, der geschlagene König, spiegelt sich in seinem erfolgreichen Vater Dareios, der zwecks Geschichtsreflexion und Standpauke (denn wie die Zukunft sitzt dem Tragödienpersonal selbstverständlich auch die Vergangenheit im Nacken) kurzzeitig aus der Gruft fährt. Schließlich erzählt sich im griechischen Sieg gleichzeitig der Triumph der (attischen) Demokratie über ihr Gegenstück, die (persische) Despotie. Wesentlich moderner ist das politische Theater, mit Verlaub, bis heute nicht geworden.

Inszenierungen kehren diese Modernität gern durch aktuelle Bezüge heraus – und vollziehen damit eine Verengungsbewegung, die die Allgemeingültigkeit, die ewige Spiegelungsbewegung, letztlich zur bloßen Fußnote degradiert. Gotscheff geht den umgekehrten Weg. Statt die Tragödie platt aktualisierend heranzuzoomen, öffnet er sie so weit wie möglich ins Abstrakte: ein Hammer! Neben Gotscheffs Volksbühnen-„Iwanow“ sind diese „Perser“ wahrscheinlich das Beste, was jemand, der sich im Theater nicht berieseln, sondern herausfordern lassen will, derzeit sehen kann!

Nicht Durs Grünbeins zweifellos gute, auf Verständlichkeit zielende Übersetzung hat Gotscheff gewählt, sondern – was Wunder – Heiner Müllers sperrige Version nach der Übertragung Peter Witzmanns. Die „Dunkelheit“ der Witzmann’schen Variante, lobte Müller, „erhellt den Abstand zwischen Aischylos und uns. In der Distanz scheint das Kontinuum menschlicher Existenz auf und im Kontinuum die Differenz.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Die zweite Abstraktionsmaßnahme: Mark Lammerts Bühne. Ein riesiger gelber Quader, der im Breitformat als Schatten werfende Projektionsfläche für das tragödische Personal und – um neunzig Grad gedreht – als Spiegelachse dient, die die Bühne genau mittig teilt. Wie ein Monolith steht die Urtragödie vor uns: Nirgends ein heimeliger Kompromiss, in den man sich flüchten könnte – weder die Zuschauer noch die vier Schauspieler.

An ihnen hängt alles. In ihnen wird sich die zweieinhalb Jahrtausende währende Menschheitstragödie in neunzig Minuten verdichten. Volles Risiko also – und ein riesiger Triumph! Margit Bendokat, die in jeder Hinsicht singuläre Vertreterin des antiken Chores, bringt ihre Reflexionen über den Krieg hoch konzentriert hervor. So, als würde sie im Moment der Äußerung erst das Gesagte begreifen – um es in einen einzigen Schrei münden zu lassen. Almut Zilchers Königsmutter: Eine beherrschte Aristokratin im Angesicht der Katastrophe, ein in sekundenlangen stummen Jubel ausbrechendes, vielleicht inzestuös umgetriebenes Muttertier bei der Nachricht vom Überleben des Sohnes – und gleichzeitig noch siebenundzwanzig Facetten mehr. Der im Duo Koch und Finzi verdoppelte Kriegsbote: Eine einzige Verdichtung sämtlicher rhetorischer Kulturtechniken, von der Tragödie zur Farce, von der Einfühlung in die Ironie, von der Distanz ins Zitat. Knapp dreißig Minuten sprechen Koch und Finzi simultan – und lassen im Gleichklang die umwerfendste Differenz aufscheinen. Wenn Koch später als Schatten des Dareios im Zorn über den versagenden Sohn mit hochrotem Kopf die ganze erfolgreiche Ahnengalerie herausschleudert, und Finzi schließlich als Xerxes höchstselbst auf die Bühne kommt, die Schattenwand nach hinten schiebt, den Raum weit für seine Gegenwart öffnet und im Schlussmonolog den gesamten weltgeschichtlichen Herrscher-Katalog mitsamt aller künstlerischen Zitate und Wiedergänger zusammenschrumpfen lässt, kann man nur noch geplättet sagen: das ist Theater!

Wieder am 13., 14., 21. und 31. Oktober

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