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Kultur: Mit harten Bandagen

Ein D’Artagnan der Schreibmaschine. Zum Tod des Publizisten Melvin J. Lasky

In seinen jungen Jahren muss Melvin J.Lasky ein Feuerkopf gewesen sein: ein streitlustiger Journalist, ein kämpferischer Intellektueller, ein D’Artagnan mit der Schreibmaschine in den ideologischen Kriegen seiner Zeit, der Auseinandersetzung von Demokratie und Totalitarismus. Aber die beeindruckende Jugendlichkeit eines freien Geistes blieb ihm durch sein ganzes Leben hindurch. Sie ging auch noch von dem alten Mann aus, den man immer noch am Rande von Empfängen und Diskussionen sah: eine gebückte Gestalt, nicht mehr ganz gut auf den Beinen, aber mit ungebrochenem Temperament und attackierender Suada. Deshalb war Melvin Lasky, der am Mittwochnachmittag plötzlich gestorben ist, auch ein so bezwingend authentischer Zeuge jener Nachkriegsjahrzehnte, die wichtig bleiben, weil es in ihnen um die Fundamente der freiheitlichen Ordnung ging.

In Deutschland, erst recht in Berlin, wird sein Name mit dem „Monat“ verbunden bleiben, der legendären Nachkriegszeitschrift, die Epoche machte. Lasky nannte sie gerne sein Lieblingskind. Dazu trugen die Umstände seiner Geburt bei, 1948, „während der Blockade, und die Redaktionsarbeit wurde bei Kerzenschein gemacht, wenn es Stromsperren gab“. Aber vor allem präsentierte die Zeitschrift in diesen zwischen Angst und Hoffnung hin und her gerissenen Jahren eine ganze intellektuell-politische Zivilisation, an die man sich halten konnte. Hier traten die großen Köpfe der Zeit in den Gesichtskreis der Nachkriegsdeutschen – Publizisten wie Raymond Aron und George Orwell, Arthur Koestler und Richard Löwenthal, Philosophen wie Hannah Arendt und Ludwig Marcuse, Schriftsteller wie Andre Gide, Albert Camus und Thomas Wolfe. Die Zeitschrift riss den besiegten und befreiten, auf jeden Fall ziemlich ratlosen Deutschen tatsächlich, wie man gesagt hat, ein „Fenster zur Welt“ auf.

Melvin Lasky war der unbestrittene spiritus rector dieses Unternehmens, das zwar mit harten Bandagen kämpfte, aber keineswegs Propaganda betrieb – obwohl ihn die östliche Seite mit Vorliebe mit Totschlags-Begriffen wie „literarischer Gangster“ und „CIA-Agent“ überzog. Er hat es einmal sein Ziel genannt, gegen den Totalitarismus, der damals die freie Welt bedrohte, ein „Klima aufzubauen, nicht ideologisch, nicht dogmatisch, aber getragen von der Überzeugung, dass man nur in Freiheit frei denken und schreiben kann“. Das war sein großes Credo. Selbstironisch, wie Lasky war, bezeichnete er es im Rückblick als die „übliche Sache: Freiheit gut, Diktatur schlecht“. Der große, von ihm mitinszenierte Kongress, der 195o in West-Berlin die Flagge dieser offensiven Verteidigung aufzog, hieß denn auch „Kongress für kulturelle Freiheit“. Sein Ende fiel mit dem Ausbruch des Korea-Krieges zusammen – was zeigt, wie nahe der damalige kalte Krieg dem heißen Krieg war.

Aber was inspirierte den Mann dazu, erst, blutjung, ein Protagonist in diesem großen Kampf um Köpfe und Gedanken zu werden? Um dann, in London, drei Jahrzehnte lang den „Encounter“, die Schwester-Zeitschrift des „Monat“, zum intellektuellen Forum zu machen und überhaupt ein Leben lang die intellektuelle Welt mitzubewegen? Das Geheimnis seiner Existenz war wohl, dass er in einer entwaffnenden Weise an die Kraft von Gedanken und Argumenten glaubte. Er war wirklich durchdrungen von der entscheidenden Bedeutung der Welt von Sprache und Begriffen, von Zeitungen und Büchern. Und er praktizierte diesen Glauben ebenso im Umgang mit den Klassikern, die er liebte, wie in den intellektuellen Scharmützeln des Tages. Ein Aufklärer also? Es bleibt ein erstaunliches Ereignis, wie dieser Vernunftglaube Wurzeln schlug in einem kleinen New Yorker Juden – kein Mayflower-Abkömmling, kein Harvard-Absolvent –, der mit der amerikanischen Armee nach Deutschland kam, um mutig gegen Tod und Teufel, sprich, zeitgemäß: gegen Ideologien und Dogmen zu fechten.

Irgendwie passt es zu Melvin Lasky, dass ihn der Tod mitten aus der Arbeit gerissen hat – und dass sie einem Sisyphos-Werk unter dem Titel „The Language of Journalism“ galt. Noch lieber hätte man gesehen, dass er seine Erinnerungen geschrieben hätte. Damit es uns besser im Gedächtnis bliebe: dieses denkwürdige Leben, diese in ihrer unvergleichlichen Paarung von Verwegenheit und Entschiedenheit bewegende Gestalt.

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