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Kultur: Mit Risiko

Zum Geburtstag beschenkt sich Barenboim mit Brahms

Stehende Ovationen vom Parkett bis hinauf zum obersten Rang der randvoll gefüllten Staatsoper: An seinem sechzigsten Geburtstag schenkte Daniel Barenboim sich und dem Haus eine Aufführung der beiden mächtigen Klavierkonzerte von Brahms – als Benefizkonzert zugunsten der dringend renovierungsbedürftigen Lindenoper deklariert. Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul, doch einem edlen Ross darf man trotzdem liebevoll auf den Zahn fühlen. Und da zeigte sich das d-moll Konzert unter den Zügeln von Zubin Mehta als eine noch etwas ungebärdige Schönheit: Besonders in den Ecksätzen wollten sich die vielen disparaten Emotionen und Bewegungsmomente nicht zu einem völlig überzeugenden Ganzen fügen. Der Kontrast zwischen einem ersten Thema mit der unwirschen Direktheit eines Beethoven und der pointierten Zärtlichkeit des zweiten Themas waren vom Solisten wie vom Orchester noch mit gleicher Deutlichkeit herausgearbeitet. Doch im weiteren Verlauf schienen die Mitglieder der Staatskapelle wieder weiter von der Stuhlkante zurückzurutschen. Anders im gefügigeren B-Dur-Konzert: Hier fand man zu einander, lieferte im zweiten Satz einen äußerst klaren und runden Dialog, um im folgenden Andante jenes Stück über dem Boden zu schweben, zu dem einen nur die gemeinsam nach innen gehorchte Klangvorstellung erheben kann. Der Vollblutmusiker Barenboim gab dabei einmal mehr sein Ganzes – und dabei doch nicht sein Innerstes preis; sein Spiel beweist Intellekt und zelebriert nicht ohne Risiko die leutselige Natürlichkeit des Genies, das sich eben ans Klavier gesetzt hat, um mit Freunden Brahms zu hören – nicht aber ihn zu interpretieren oder etwa mit dem Zeigefinger auf verborgene Geheimnisse zu deuten. Bei Barenboims Geburtstags-Brahms durften Komponist und Interpret dafür eines zugleich sein: Mensch und Klassiker. Carsten Niemann

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