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Kultur: Mit Seele, aber ohne Propaganda

Licht und Schatten: Finnischer Jugendstil im Berliner Bröhan-Museum

Zugleich national und kosmopolitisch zu sein, musste kein Widerspruch bedeuten für europäische Künstler um 1900. Der Jugendstil war eine pan-europäische Kunstströmung – mit nationalen Besonderheiten. In Glasgow entstand eine streng geometrische Variante, in Nancy und Wien verspieltere Formen. Besonders die Künstler in Finnland verschmolzen die Traditionen ihres Landes mit der internationalen Kunst und bereicherten den Jugendstil um eine melancholische Komponente. So entstand eine geschlossene Szene wie in kaum einem anderen Land, die auch Musik und Literatur mit einschloss.

Bis heute benutzen die Finnen das Wort „Jugend“ zur Bezeichnung dieser Epoche. Die Ausstellung „Das Licht kommt jetzt von Norden – Jugendstil in Finnland" im Berliner Bröhan-Museum zeigt nun erstmals in Deutschland den ganzen Reichtum der finnischen Kunst um die Jahrhundertwende. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet in dem hohen Norden die neue Kunst eine Blüte erlebte: Denn das Streben nach Unabhängigkeit, das Finnland nach jahrhundertelanger Zugehörigkeit zu Schweden und Russland bewegte, manifestierte sich um 1890 auch in der Kunst. Finnland war damals noch ein Großfürstentum im Russischen Reich und suchte eine nationale Identität. Als es sich nach einigem Ringen erstmals auf der Weltausstellung in Paris 1900 vorstellen durfte, entstand mit dem in Kirchenform gehaltenen Pavillonbau ein Gesamtkunstwerk, das als Höhepunkt finnischen Jugendstils gilt.

Eine der Vitrinen von einst ist jetzt auch im Bröhan-Museum zu sehen. Der Künstler Axel Gallén, der sich seit 1907 Akseli Gallen-Kallela nannte, griff bei der Ausmalung symbolisch auf die mittelalterlichen Wurzeln der finnischen Geschichte zurück: Er verzierte den Pavillon mit Motiven aus dem altfinnischen Epos „Kalevala", einer Liedersammlung, die in Finnland jedes Kind kennt. Sie eigneten sich deshalb besonders für eine national verbindliche Bildersprache. Der finnische Beitrag wurde von den Zeitgenossen als „sympathisch und modern“ beschrieben.

Akseli Gallen-Kallela ist der bedeutendste und bekannteste finnische Künstler seiner Zeit. Schon mit 19 Jahren ging er – wie viele andere skandinavische Künstler seiner Generation – nach Paris. Die finnischen Künstler orientierten sich zwar an den französischen Vorbildern, nach ihrer Rückkehr zogen sich viele jedoch in die ländliche Einöde zurück. Die heimische Seen- und Wälder-Landschaft wurde für sie zum Ausdruck der Seelenlage. Besonders die nordischen Winterlandschaften gerieten zum patriotischen Bekenntnis „mit Seele, aber ohne Propaganda“.

Auch Maler wie Ville Vallgren, Eero Järnefeldt und Albert Edelfelt trugen zur „Wiedergeburt" der finnischen Kunst bei. Ihre eigenwilligen, unverwechselbaren Bildsprachen und ihre zunehmend metaphysischen Sujets wie Eros und Tod prägten die Jugendstil-Kunst. Aber der Jugendstil war nicht auf die Malerei beschränkt: Die 1897 von Louis Sparre gegründeten Iris-Werkstätten garantierten den Anschluss an das internationale Kunstgewerbe und die Innenarchitektur. Der Höhepunkt des neuen Textildesigns war der leuchtende „Flammenteppich“ von Gallen-Kallela im Weltausstellungs-Pavillon.

Die Verknüpfung von Tradition und Moderne ist der Anfang des heute weltbekannten finnischen Designs und der Architektur. Den Klassizismus empfand man als imperialistischen Stil – und lehnte ihn ab. Berühmte Jugendstil-Architekten wie Eliel Saarinen zeigten stattdessen ihre Heimatbindung in „national-romantischer“ Architektur. Sein eigenes Haus gestaltete Saarinen als wahres Gesamtkunstwerk, in dem Architektur, Möbel, Textilien, Keramik, Grafik und Skulptur eine einmalige Symbiose eingingen.

Saarinens Architektur wurde ein Welterfolg. Nicht nur Helsinki wird noch heute maßgeblich von seinem Hauptbahnhof geprägt, auch nach der Übersiedlung in die USA 1923 konnte Saarinen wichtige Werke wie den berühmten Campus der Cranbrook Academy of Arts in Michigan hinterlassen, die sowohl von seiner Herkunft als auch von seiner Internationalität zeugen. Denn den heimatlichen finnischen Materialien wie Granit und Holz blieb Saarinen auch in der neuen Welt verbunden.

Nach der vor zwei Jahren gezeigten Ausstellung „Art Noveau in Frankreich“ hat das Bröhan-Museum mit 250 Stücken erneut einen umfassenden Länder-Überblick vorgelegt. Doch trotz der engen Bindungen vieler finnischer Künstler zu Deutschland und besonders Berlin konnte das Landesmuseum für Jugendstil, Art Deco und Funktionalismus diesmal nicht auf eigene Bestände zurückgreifen. Die großzügigen Leihgaben kamen aus allen bedeutenden Museen Finnlands. Wie damals auf der Weltausstellung 1900 präsentiert sich Finnland auch heute selbstbewusst als Kulturnation.

Bröhan-Museum, Schlossstr. 1a, bis 2. März 2003, Di bis So 10 bis 18 Uhr. Eröffnung heute, 18 Uhr. Katalog 25 Euro. Zur Ausstellung erscheint am Sonntag eine Sonderbeilage im Tagesspiegel.

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