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Kultur: „Miteinander? Nebeneinander reicht doch!“

Ballhaus Naunynstraße: Die Chefs stellen sich vor.

Der Schauspieler Cem Sultan Ungan verteilt zu Beginn Granatäpfel im Publikum. Und kehrt sogleich noch vitaminbeladener zurück. Mit einem Korb Bananen, Weintrauben, Melonen, Mandarinen und Ananas. Im Ballhaus Naunynstraße wird nicht etwa Erntedankfest gefeiert, sondern über die Verschiedenheit der Menschen nachgedacht. Eingeladen haben Kulturstaatssekretär André Schmitz und die gemeinnützige Hertie-Stiftung im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Be Berlin – be diverse“. Sie trägt den schönen Titel: „Warum Vielfalt kein Obstsalat ist“.

Auf dem Podium sitzen Wagner Carvalho und Tunçay Kulaoglu, die neuen künstlerischen Leiter des Ballhaus Naunynstraße. Sie geben einen Vorgeschmack davon, welcher Geist von ihnen künftig in Kreuzberg zu erwarten ist, wollen sie sich doch nicht damit begnügen, die Zierkirschen auf dem Sahneberg der multikulturellen Gemeinschaft abzugeben. Carvalho, der seinen brasilianischen und nicht bayreuthischen Vornamen mehrstündig erklären kann, zählt ein paar Realitäten des Berliner Zusammenlebens auf: 184 Nationen, 750 000 Menschen mit Migrationshintergrund, 110 000 Hunde plus dazugehörige Hundehalter, 408 554 Berliner ohne Landeswahlrecht, etwa 350 000 Schwule und Lesben. Verschiedenheit braucht in dieser Stadt längst keine be-irgendwas-Imperative mehr.

Carvalho spricht dann auch über Fragen von Schwarz und Weiß. Über Menschen, die braun genannt werden, dunkelhäutig, maximal pigmentiert. Und sich selbst als Bund der Rassismusgewohnten unter dem Begriff „People of Colour“ versammeln. Dass sie auf deutschen Bühnen wenig zahlenstark vertreten sind, muss Carvalho nicht noch einmal sagen. Hierzu gab es am Ballhaus bereits resonanzstarke „Blackfacing“-Debatten. Dafür kommt per Videoeinspieler ein Kölner „of Colour“ zu Wort, der Schauspieler Murali Perumal, der als Biertrinker in bajuwarischer Tracht über seine geglückte Assimilation in „Herbert“- und „Peter“-Rollen frohlockt und seine Eignung für Nazi-Parts in Aussicht stellt. Sehr lässig.

Tunçay Kulaoglu wiederum sinniert über das Beieinandersein. Friede-FreudeMiteinander? Ein Nebeneinander wäre doch schon völlig okay! Vielleicht wird ja ein Unter- und Ineinander draus. Dann ginge ein Ruck durch unsere Körper – und durch Deutschland! André Schmitz beugt sich angesichts dieser prägnanten Diskurs-Performance gern dem Wunsch der Ballhaus-Leiter, den Rahmen nicht durch genregängige Grußworte zu sprengen. Seine Verdienste um das interkulturelle Berlin stehen außer Frage. Spätestens seit ihm die Volte gelungen ist, Ballhaus-Chefin Shermin Langhoff zur Gorki-Intendantin zu küren und im gleichen Atemzug via „Zeit“ eine Diversity-Quote für das Leitungspersonal unserer Kulturinstitutionen zu fordern. Patrick Wildermann

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