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Kultur: „MitFüllerundPapier“

Regisseurin Samira Makhmalbaf über die Macht der Bildung und die Sehnsucht der Jugend

Frau Makhmalbaf, in Ihren Filmen spielt Bildung eine tragende Rolle. Warum?

Ich glaube, es war Kubrick, der einmal geklagt hat, dass die Menschen an zu viel Wissen und Bildung litten. Aber in dem Teil der Welt, in dem ich lebe, leiden wir nicht an zu viel Wissen, sondern an zu viel Unwissenheit. Um das zu ändern, brauchen wir Bildung. Vielleicht hat mein Interesse aber auch damit zu tun, dass in unserer Kultur die Sehnsüchte der jungen Frauen in dem Moment beginnen, wenn sie die Familie verlassen und anfangen, etwas zu lernen. Als ich für die Dreharbeiten den ersten Tag in Afghanistan war, sah ich auf der Straße Frauen mit Burka. Man kann sich kaum vorstellen, dass sich darunter lebendige Personen befinden. Aber als ich mit ihnen redete, hatten diese Frauen große Ideen und Sehnsüchte. Einige sprachen sogar Englisch. Dieses andere Gesicht der afghanischen Frauen wollte ich zeigen.

Ihr Film legt nahe, dass der Konflikt in Afghanistan einerseits zwischen den Geschlechtern, andererseits aber auch zwischen den Generationen stattfindet.

Sowohl als auch. Es handelt sich um ein tief sitzendes kulturelles Problem. Die Amerikaner konnten nicht davon ausgehen, wie Rambo nach Afghanistan zu gehen und über Nacht einen Übergang von den Taliban in die Moderne zu schaffen. Ich war im Jahr 2002 dort. Die Taliban gab es nicht mehr, doch 95 Prozent der Frauen trugen noch immer die Burka. Sie hatten Angst. Das Problem ist nicht mit einer äußeren Wunde vergleichbar. Es geht tiefer. Mehr wie ein Krebs, dessen Behandlung Zeit und Geld benötigt.

Die Protagonistin Ihres Films wirft ihrem Vater vor, ein religiöser Fanatiker zu sein, mit dem man nicht argumentieren könne. Ist das auch Ihre Position gegenüber der älteren Generation?

Ich würde das Ganze gerne von einem humanistischeren und weniger politischen Standpunkt aus sehen. In Afghanistan wollte ich mich zunächst umsehen, aber nicht urteilen. Deshalb habe ich auch versucht, den alten Mann zu verstehen, der an die Taliban geglaubt hat und jetzt leidet. Auch er ist ein Mensch. Vor dem 11. September drehte mein Vater Mohsen Makhmalbaf den Film „Kandahar“. Er brachte Informationen über Afghanistan in Umlauf, ein Land, in dem die Leute aus tausenderlei Gründen starben, und keiner kümmerte sich darum. Ich erinnere mich, wie er darüber weinte. Dann kam der 11. September. Hunderte von Nachrichtensender strömten ins Land. Diese Sender sind die Stimmen von mächtigen Institutionen und Regierungen, aber nicht die Stimme der Menschen in Afghanistan. Trotz all der Nachrichten wissen wir immer noch nicht, was in Afghanistan los ist.

Mit Ihrem Vater Mohsen Makhmalbaf haben Sie zusammen das Drehbuch geschrieben. Wie wichtig ist er für Sie?

Die Beziehung zu ihm ist sehr vielfältig: Er ist mein Vater, mein Kollege, mein Freund. Außerdem ist er mein wichtigster Lehrer. Ich habe angefangen, das Kino zu lieben, weil ich ihn liebte. Ich sah, wie viel ihm das Kino bedeutete, und wollte deshalb herausfinden, was das eigentlich ist: das Kino. Dabei war das Beste, was er mir beigebracht hat: Filme nicht um der Filme willen zu machen, sondern die Menschen zu lieben und dabei zu versuchen, sie durch das Medium Film hindurch zu betrachten.

Ein Rat, der sich in Ihrer Arbeit mit den Darstellern niedergeschlagen hat.

Ja. Den Film „Der Apfel“ habe ich mit zwei geistig zurückgebliebenen Mädchen gedreht. „Schwarze Tafeln“ entstand im tiefsten Kurdistan. Die Episode für den Film „11’09’’01“ drehte ich mit armen afghanischen Kindern. Ich habe immer mit gewöhnlichen Menschen gearbeitet, die wenig vom Kino wussten. Bei „Fünf Uhr am Nachmittag“ kannten die Leute zumindest Kameras, weil nach dem 11. September viele Reporter nach Afghanistan gekommen waren. Aber in einem Spielfilm mitzumachen, damit konnten sich die Leute nicht so leicht abfinden. Bis zwei Tage vor Drehbeginn hatte ich keine Hauptdarstellerin.

Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, sich den Darstellern mit kleinen Digitalkameras zu nähern?

Bislang sind alle meine Filme auf 35 Millimeter gedreht. Aber mir gefällt die Idee sehr gut. Im Kino brauchen wir Philosophie und Dichtung. Doch die meiste Zeit über ist das Kino in der Hand des Geldes und der Techniker. Mit den preiswerten Digitalkameras ist das anders: Du nimmst sie, gehst los und machst deinen Film. Wie ein Schriftsteller mit Füller und Papier. Das ist gut für die Zukunft des Kinos.

Das Gespräch führte Julian Hanich.

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