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Kultur: Mittelalterliches Lamento

Die pathetisch-schwerblütig ausgewalzte "Genoveva"-Ouvertüre von Schumann, die Christian Thielemann zu Beginn seines Konzertes mit den Philharmonikern darbot, deutete noch nicht auf einen großen Abend hin.Nicht sonderlich einfallsreich, daß sich Thielemann zum Schluß gleich noch einen Schumann vorgenommen hatte, die "Frühlingssinfonie".

Die pathetisch-schwerblütig ausgewalzte "Genoveva"-Ouvertüre von Schumann, die Christian Thielemann zu Beginn seines Konzertes mit den Philharmonikern darbot, deutete noch nicht auf einen großen Abend hin.Nicht sonderlich einfallsreich, daß sich Thielemann zum Schluß gleich noch einen Schumann vorgenommen hatte, die "Frühlingssinfonie".Eine aufregende interpretatorische Entdeckungsreise, wie sie einst im Schauspielhaus Leonard Bernstein mit dem sinfonischen Erstling des Zwickauers geliefert hatte, bahnte sich mit diesem Auftakt tatsächlich nicht an.Und während man noch darüber nachdachte, ob Thielemann und die Philharmoniker überhaupt ein gutes Paar bilden, kam die große Überraschung.Der GMD der Bismarckstraße, der kaum als passionierter Streiter für die Moderne gilt, traf mit der Musik von Hans Werner Henze, dessen "Prinz von Homburg" er in der Deutschen Oper herausgebracht hat, ins Schwarze.Henzes "Tristan", Préludes für Klavier, Orchester und elektronische Klänge, dirigierte er bei aller brodelnden Expressivität mit Tiefenschärfe und Gespür für die gleichsam szenisch-dramatische Komponente des Werkes.Das hinterließ Wirkung.

Der leidenschaftliche Wagner-Dirigent Thielemann förderte in den "Tristan"-Préludes Henzes ambivalente Wagner-Beziehung zutage.Wie er bei diesem sich nur aus weiter Ferne an Wagner herantastenden kunstvoll-disparaten Werk, das eigentlich ein fünfzig Minuten langes Klavierkonzert ist, die unterschiedlichen Bezüge und komplizierten kompositorischen Schichten freilegte und zu einem kontrastreichen Ganzen fügte, machte Eindruck.Vladimir Stoupel modellierte seinen Klavierpart nicht minder intensiv aus.Sogleich die impressionistischen Klang-Girlanden zu Beginn waren in schöner Transparenz gehalten.

Auch wenn Henze das Dialogisieren "seinem" Pianisten, Dirigenten und Orchester aufgrund der weitläufigen Verlaufsdramaturgie, bei der Hörer wie Spieler leicht vom Kurs abkommen können, nicht einfach macht, alles hatte seinen Platz: die transzendenten Momente am Anfang und Schluß, das von Henze zitierte mittelalterliche Tristan-Lamento, die verzerrten Tanzbilder, die Klangausbrüche, die immer neuen Reflexe auf die Musik Wagners und von Brahms, dessen "Auftreten" von zerstörerischer Härte ist, sowie die bewegende Kinderstimme, die in englischer Sprache Isoldes Tod umschreibt.Es berührte nachhaltig, daß Thielemann so unmißverständlich diesen "Tristan" von Henze als ein großangelegtes instrumentales Requiem auffaßt, in dem Henze politische und persönliche Ereignisse der 70er Jahre, Vereinsamung, Angst und Chaos reflektiert.Neue Musik hört man nicht immer in solch knisternder Ausdrucksschärfe, solch reicher Emotionalität.Und sie wird nur sehr selten mit solch starkem Applaus bedacht.

Noch einmal am heute um 20 Uhr und morgen um 11 Uhr, Philharmonie

ECKART SCHWINGER

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