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Kultur: Mittenmang und doch am Rande

Wieder einmal berät die Politik über das Kulturforum. Erhofft wird der große Wurf einer Gesamtlösung. Einschneidende Veränderungen stehen an

„Die städtebauliche Konzeption dieses Entwurfs“ – so das Preisgericht des Wettbewerbs zum Neubau der Staatsbibliothek durch Hans Scharoun – „ist meisterhaft. Jedem einzelnen Bauwerk am Kemper-Matthäikirchplatz wird die ihm gebührende Bedeutung zugemessen, und doch fügen sich diese – durch Funktion und Gestalt so verschiedenartigen wie eigenwilligen – Gebäudegruppen zu einem überzeugenden und harmonischen Ensemble zusammen.“

Es war dies die eigentliche Geburtsstunde des Kulturforums, jener – ja was? Ist es das Ensemble der Bauten entlang der (neuen) Potsdamer Straße zwischen Landwehrkanal und Potsdamer Platz, also Philharmonie samt Kammermusiksaal, Staatsbibliothek, Neue Nationalgalerie, Matthäikirche und Staatliche Museen? Oder ist es lediglich der Platzraum zwischen diesen Bauten? Oder die Fläche zwischen den Scharounbauten?

Wer sich auf die Terrasse der Nationalgalerie – jenes 1968 vollendete Alters- und Meisterwerk Ludwig Mies van der Rohes – stellt, wird von Melancholie ergriffen. Die genannten Kulturbauten kommen in den Blick, gewiss; doch zwischen ihnen erstreckt sich schiere Tristesse. Unablässig rauscht der Autoverkehr auf der Potsdamer Straße vorüber. Vor allem aber schieben sich seit dem Bauboom der Neunzigerjahre andere Bauten aufdringlich ins Bild. Die Staatsbibliothek wird überragt vom Bürohochhaus am Landwehrkanal, dessen krönender Abschluss wirkt wie ein Schornstein der Bibliothek. Zwischen ihm und dem Philharmonie-Doppel beansprucht das weiße Zeltdach des „Sony-Centers“ die Höhendominante. Das Hochhaus-Trio vom Potsdamer Platz und die ihm vorgelagerten Bauten drängen optisch heran. Und zu Füßen der Gebäude – nichts als Pkw-Stellplätze. Vollgeparkt, versteht sich.

Fünf Jahre vor dem Bibliothekswettbewerb, am 15. Oktober 1963, wurde die Philharmonie feierlich eingeweiht. „Hans Scharoun, das ist ihr Tag!“, rief der damalige Bausenator dem Architekten zu. Die sogleich als ein Meisterwerk des 20. Jahrhunderts gelobte Philharmonie bildete den Ausgangspunkt der Kulturforumsplanungen auf der damals mehr als unwirtlichen, von Kriegsruinen durchsetzten Brache hart an der Sektorengrenze, die alsbald durch Mauer und Todesstreifen abgeriegelt werden sollte. Der Wille, ausgerechnet hier, fernab der Lebensnerven der Halbstadt West-Berlin, bedeutende Kulturbauten aufzureihen, hat in der Rückschau etwas rührend Heroisches.

Die Politik hielt unverdrossen an dem Gelände fest. 1965 wurde der Wettbewerb für die Neubauten der nach Berlin zurückgekehrten, unter der Stiftung Preußischer Kulturbesitz vereinten Sammlungen ausgeschrieben. Im Auslobungstext hieß es, „diese neuen Museen zu dem alten Museumszentrum jenseits des Brandenburger Tores in eine organische Verbindung zu bringen, die in einer glücklicheren Zeit selbst dem Fußgänger die leichte und schnellste Erreichbarkeit der Museen untereinander ermöglicht.“

Nie mehr Randlage

Die seinerzeit geradezu abwegige Hoffnung ist seit der Wiedervereinigung Realität geworden – und doch kümmert das Kulturforum dahin, ja, ist erst recht zum Ärgernis geworden, seit die bizarre geografische Randlage als Entschuldigung weggefallen ist. Mehrere Anläufe zur Verbesserung der Situation wurden halbherzig abgebrochen. Nun hat das Berliner Abgeordnetenhaus Ende 2002 einen neuerlichen Versuch unternommen und den Senat „aufgefordert, auf der Grundlage des städtebaulichen Leitbildes von Hans Scharoun ein Konzept zur Weiterentwicklung des Kulturforums vorzulegen“. Insoweit nichts Neues – die Scharoun-Parteigänger bilden eine zählebige Spezies. Doch zumindest ist den Abgeordneten die gewandelte Realität nicht entgangen: „Dabei sind die durch die Vereinigung der Stadt und die Entwicklung des Potsdamer und Leipziger Platzes neu entstandenen stadträumlichen Beziehungen und künftigen Aufgaben des Ortes zu berücksichtigen.“ Am morgigen Dienstag liegt dem Senat eine entsprechende Vorlage der zuständigen Stadtentwicklungsverwaltung zur Beschlussfassung vor, die, die Zustimmung des Senats vorausgesetzt, anschließend dem Parlament zur Diskussion zugeleitet wird. Der Vorlage voraus gingen Diskussionen der Senatsverwaltung – genauer des Senatsbaudirektors Hans Stimmann – mit den Vertretern der am Kulturforum beheimateten Institutionen.

Es ist also kein beliebiges Papier aus der Denkfabrik des Senatsbaudirektors, das dem Senat morgen zur Abstimmung vorliegt. Die Anrainer des Forums haben ihre Vorstellungen deutlich gemacht; freilich kann sich ein Konzept für das Not leidende Kulturforum nicht darin erschöpfen, die Quersumme aus den Institutionswünschen zu ziehen. Gerade der Blick auf die Alltagstristesse des Kulturforums zeigt ja, dass die Problematik längst über dessen Grenzen, wie weit man sie auch ziehen mag, hinausgewachsen ist. Das Gelenk zwischen Ost und West der Stadt, zu Zeiten ihrer Teilung als Hirngespinst geschmäht, ist Wirklichkeit geworden – nur ächzt es, statt geräuschlos zu funktionieren.

Die Kernfrage ist die nach der Definition des Kulturforums: Woraus besteht es und was soll es leisten? Jenseits der Frage, ob Scharouns Leitgedanken 33 Jahre nach dem Tod des Architekten und Künders der „Stadtlandschaft“ überhaupt noch umgesetzt werden können, steht doch die drängende Ratlosigkeit der Institutionen und ihrer Nutzer. Während die Besucher von Museen und Staatsbibliothek tagsüber kommen – und die Malaise des Forums sehen –, eilen die Musikhörer abends ihren Philharmonien zu, froh, einen der Parkplätze ergattert zu haben, den wiederum tagsüber die Büroangestellten vom Potsdamer Platz als noch dazu kostenlose Dreingabe besetzt halten.

Aus der Verschiedenartigkeit der Nutzungen wie auch der Bauten, unter denen Philharmonie, Staatsbibliothek, Nationalgalerie sowie – als einziges Zeugnis der Vergangenheit – die 1846 geweihte Matthäikirche kostbare Solitäre sind, ergibt sich zwingend, das Kulturforum als öffentlichen Raum hervorzuheben. Das heißt zuallererst, den derzeitigen Missbrauch des Areals als Großparkplatz zu beenden – eine Konsequenz, über die sich die Senatsvorlage beredt ausschweigt.

Stimmann denkt in städtebaulichen Kategorien. Er will das Areal in drei miteinander verwobene Bereiche gliedern: einen „stadtlandschaftlich gestalteten Kernraum“, einen „der Matthäikirche zugeordneten Stadtplatz“ sowie – und da kommen die Staatlichen Museen als Anrainer vehement ins Spiel – einen „neuen Museumsplatz anstelle der ,Piazetta’ genannten Rampe“. Letzteres zielt auf eine so gut als mögliche Bereinigung der architektonischen Katastrophe, die die (Teil-)Fertigstellung des Museumskomplexes 1985 – damals noch ohne die nachträglich angefügte Gemäldegalerie – vor Augen führte: derart, dass der Weiterbau nach dem betonseligen Konzept des Stuttgarter Architekten Rolf Gutbrod gestoppt wurde.

Nie mehr „Piazzetta“

Wer je die unsägliche Rampe zum gemeinsamen Eingang der „Museen der europäischen Kunst“ erklommen hat, zumal bei schlechtem Wetter, um sich sodann in den ebenso trost- wie sinnlosen Betonstützenfoyers zu verlieren, kann das Drängen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz auf grundlegende Sanierung nur begrüßen. „Kulturforum“ steht oben angeschrieben – aber dass sich dahinter mit der Gemäldegalerie eine der weltweit bedeutendsten AltmeisterSammlungen verbirgt, wird standhaft verschwiegen. Noch haben es Präsident Klaus-Dieter Lehmann und Museums-Generaldirektor Peter-Klaus Schuster nicht öffentlich gemacht, aber längst wird es in Fachkreisen diskutiert: Die Rampe, die ein nie als solches genutztes Parkhaus überdeckt, muss abgerissen und durch einen ebenerdigen Zugang in Gemäldegalerie, Kupferstichkabinett und Kunstgewerbemuseum ersetzt werden. Der in der Senatsvorlage gemachte Vorschlag eines kolonnadenumsäumten Platzes darf als Denkanstoß verstanden werden. Anbauten sollen die verwinkelten Museumstrakte gnädig umhüllen – und die in ihrer derzeitigen Lage vom Publikum geradezu gemiedene Gemäldegalerie zu jenem Anziehungspunkt machen, den sie mit ihrer kostbaren Sammlung darstellen muss.

Problematisch ist der Übergang von der dichten Bebauung am Potsdamer Platz zur Luftigkeit des Forums. Von Osten her kommend, fällt der Passant regelrecht ins Leere. Worauf er zuläuft, ist der Parkplatz der Philharmoniker – heiß verteidigtes Erbe Scharouns, der diesen Parkplatz wohlweislich auf der Rückseite der von der Tiergartenstraße her erschlossenen Philharmonie anlegte. Die Situation ist vor der Staatsbibliothek, die mit einer Barriere aus Parkplatz und erdwallgeschütztem Abstandsgrün den Lärm der Potsdamer Straße abzuhalten sucht, kaum weniger betrüblich.

Bleibt also als Hauptübel die Straße. Scharoun, der seine autofreundlichen Vorstellungen zu einer Zeit entwickelte, als Pkws noch ein Minderheitsprivileg waren, sah die Potsdamer Straße als „Tal“, über der sich das Gebirge der Staatsbibliothek erhebt. Längst wirkt die vielspurige Straße als massives Hindernis. Ob sich die Verkehrslast nach der überfälligen Eröffnung des Tiergartentunnels mindert, muss nach allen Erfahrungen mit Straßenneubauten bezweifelt werden: Neue Straßen ziehen neuen Verkehr an.

Unter dieser Perspektive kann die morgen zu verhandelnde Senatsvorlage nur realistisch genannt werden. Sie sieht eine Fülle von Einzelmaßnahmen vor, die den Freiraum des Kulturforums akzentuieren und ihm Kontur gegen die anbrandende Stadt geben sollen. Die geplanten Neubauten werfen die Frage nach den Kosten auf. Die Antwort klingt verführerisch. Berlin und die Preußen-Stiftung, die beiden großen Grundstückseigner, müssen Teilflächen zu kommerzieller Bebauung abgeben, um aus den Erlösen ihre jeweiligen Wünsche finanzieren zu können.

Man ahnt, dass bis zur Verwirklichung der Kulturforums-Pläne noch eine sehr lange Zeit vergehen wird – immer vorausgesetzt, dass sich am morgigen Dienstag überhaupt ein politischer Wille zu erkennen gibt.

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