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© AFP

Moderne Architektur: Roms Neues Nationalmuseum: Ein Sommernachtsraum

Zaha Hadid hat in Rom ein Museum für das 21. Jahrhundert gebaut – Sasha Waltz weiht es mit einer Tanzperformance ein

Rom und die moderne Architektur – ein schwieriges Verhältnis. In der „Ewigen Stadt“ liegen die Schichten von 3000 Jahren Leben, Kultur und Herrschaft übereinander. Jede mag zu ihrer Zeit modern gewesen sein. Aber seit der Futurismus sozusagen die Geschichte überholt, seit Mussolinis Imperial-Gehabe die Stadt auf einen letzten, sehr zwiespältigen Architekturgipfel geführt hat, ist der kontinuierliche Modernisierungsprozess abgerissen. Kulturell beschäftigt sich das traditionsbeflissene, tendenziell bräsige Rom heute derart mit der Verwaltung seines Erbes, dass Zukunftsweisendes als Majestätsbeleidigung aufgefasst wird.

Da ist beispielsweise die vom amerikanischen Architekten Richard Meier entworfene Einkleidung für den „Friedensaltar“ des Kaisers Augustus. Rechte Kreise schmähen den Bau als „texanische Tankstelle“, die das „historische Ensemble“ verletze. Sie verlangen den Abriss – und verschweigen, dass Meier mit seinem lichten Kasten noch das Beste aus einem bereits von faschistischen Protzarchitekten ruinierten Platz gemacht hat.

Doch jetzt tut sich etwas. Zwar nicht im historischen Zentrum, aber in mühelos erreichbarer Nähe. Massimiliano Fuksas baut im Süden gerade seine Multifunktions-„Wolke“; in eine architektonische Brache des Nordens hat Renzo Piano die drei Konzertmuscheln seines Auditoriums gepflanzt. Und im Bezirk Flaminio, mitten in einem schäbigen Kasernen- und Mietskasernenareal des späten 19. Jahrhunderts, ist Zaha Hadid eingebrochen: Ihr MAXXI, das Nationalmuseum für die Kunst des 21. Jahrhunderts könnte die Versöhnung darstellen zwischen Rom und der Moderne, zwischen Travertin und Beton; kritisiert hat diesen gewaltigen Bau jedenfalls noch keiner. Nicht einmal die Tatsache, dass die Kosten von 57 Millionen auf 150 Millionen Euro explodiert sind, regt die Leute auf.

Hadid hat das alte Militärgelände vom Zwang des rechten Winkels befreit. Das Museum fließt. Der Grundriss sieht so aus, als hätte Hadid ihre Innsbrucker Skisprung-Schanze für Rom einfach flach auf die Erde gelegt, darüber – spiegelbildlich – eine noch kurvigere zweite. Zusammen ergibt das annähernd ein „X“, allerdings mit gebogenen Schenkeln.

Innen das gleiche dynamische Bild. Schon das Entrée ist ein Kunstwerk für sich: eine 20 Meter hohe Halle, durchquert auf allen möglichen Niveaus von frei schwebenden Korridoren und Treppen. Grau der Beton, schwarz die Stahlverkleidung der Laufgänge, neonweiß die Leuchtflächen. Und im Schnittpunkt des „X“, wo die zwei Betonstränge sich in verblüffender Schwerelosigkeit kreuzen, da hat Hadid auch die Stockwerke aufgelöst.

Hadids heilige Hallen sind monumental. Aber der irakisch-britischen Architektin und ihrem deutschen Partner Patrik Schumacher ist auch ein zweiter „Petersdom-Effekt“ gelungen. Die harmonischen Proportionen der gebogenen Säle sorgen dafür, dass dem Besucher die Größe des Bauvolumens gar nicht auffällt. Erst wenn Menschen sich durch die Hallen bewegen, findet das Auge eine Orientierung, ein Maß zur Abschätzung der wahren Dimensionen.

Nach Sasha Waltz’ Eröffnungschoreografie wird der leere Bau bis Mai 2010 wieder dichtgemacht. Erst dann wird man sehen, mit welchen „Künsten des 21. Jahrhunderts“ Rom diese Hallen bespielen wird: Experimentell soll es zugehen, denn es gibt hier keinerlei Sammlung moderner Kunst. Paul Kreiner

Das MAXXI schwingt! Seine fließenden, schwebenden Formen geben dem Museum einen dynamischen Charakter. Es mit Tanz zu eröffnen, ist also nur konsequent. Hier soll Kunst ausgestellt werden, die noch im Werden begriffen ist – und was verkörpert dieses ewige Werden besser als der sich bewegende Körper?

Man muss von einer glücklichen Koinzidenz sprechen: Als der Rohbau zu besichtigen war, weilte Sasha Waltz gerade dank eines Stipendiums in der Villa Massimo, ließ sich vom Angebot der Museumsleitung verlocken. Hadids Bau mag für Ausstellungsmacher eine Herausforderung sein, für eine Choreografin wie Sasha Waltz ist er ein Ansporn. Mit ihren Raumerkundungen hat sie sich einen Ruf in der internationalen Kunstszene erworben. Den Namen der Berliner Choreografin assoziiert man mit innovativer Architektur. Und die spielt in „Dialoge 09 – MAXXI“ jetzt die Hauptrolle.

Wenn sich die imposante schwarze Treppe, die sich in die oberen Etagen windet, mit den herbeiströmenden Besuchern füllt, kommt man sich vor wie im Inneren eines Körpers. In das Wogen und Zirkulieren der Menge hat Waltz tänzerische Wirbel und spannungsgeladene Skulpturen hineingesetzt. 38 Tänzer und acht Musiker wirken mit bei dieser „choreografischen Ausstellung“ – sie laden die Räume zusätzlich mit Energie und mit Emotion auf. Denn Sasha Waltz bleibt nicht beim reinen Formenspiel stehen, in diesem römischen Museum wirkt ihr Tanz auf einmal sehr deutsch, also expressiv und tiefgründig, sie leiht den Körpern Gewicht und Bedeutung.

Die 1000 geladenen Gäste, die sich zur VIP-Vorstellung am Freitagabend einfanden, erstarrten allerdings nicht in Andacht vor dem deutschen Tanzwunder, im Gegenteil: Die römische Gesellschaft nutze das MAXXI auch als Bühne für die ausgiebige Selbstdarstellung. Die edelsten Schuhkreationen wurden bei diesem Kunst-Parcours ausgeführt.

Inmitten dieser verfeinerten römischen Eleganz wirken die Körperbilder von Sasha Waltz geradezu aufrührerisch und befreiend – obwohl Bernd Skodzig den Tänzern wunderbare schwarze Roben geschneidert hat, die dem Tanz vor den nackten Betonmauern oder weißen Wänden oftmals einen grafischen Charakter verleihen. Dem gegenüber steht das freie Fließen der Bewegung, korrespondierend zum Spiel der architektonischen Formen – wobei das Organische immer wieder reizvoll gebrochen wird.

Die Auseinandersetzung mit dekonstruktivistischer Architektur, die mit dem „Dialoge“-Projekt in Daniel Liebeskinds Jüdischem Museum in Berlin begann, hat ihre Spuren hinterlassen. „Deconstruction I“ nennt Sasha Waltz deshalb wohl ihre choreografische Ausstellung, Elemente aus früheren Stücken, aus „Körper“ und „inside out“ wie aus den den früheren „Dialoge“-Projekten, werden in den Hadid-Sälen befragt. Die offenen Räume erschließen sich ganz anders durch den Tanz, sie verändern aber auch den Blick auf die Körper – und ganz unterschiedliche Lesarten des Körpers präsentiert Waltz ja an diesem Abend.

Ganz schlüsssig wirkt dieser Parforceritt durch das eigene Werk jedoch nicht. Wie Hohepriesterinnen muten die Tänzerinnen zu Beginn an, wenn sie sich zu Trommelwirbeln ekstatisch drehen und verschrauben und sich dann immer wieder an die Brust greifen. Das Pathos ist wohl noch dem Parcours durch das Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel zu verdanken. Dann wieder die kühle Nüchternheit, mit der die fast nackten Körper ausgestellt werden: Die kopfüber an Gurten hängenden Tänzer, die mit abgewinkelten Beinen über dem Boden pendeln, greifen das Spiel aus Schwere und Leichtigkeit auf. Mann und Frau verschmelzen zu grotesken Doppelwesen. Von oben blickt man auf vier zusammengekauerte Tänzerinnen, deren bodenlanges schwarzes Haar verflochten ist und ein Kreuz bildet. Immer wieder werden hier Spuren ausgelegt. Eine Installation aus weißen Tellern, eine Bahn aus gelben Blüten, ein schwarzes Stoffband, das ausgespannt wird – das sparsame Spiel mit den visuellen Zeichen ist reizvoll. Die Klanginstallationen von Hans-Peter Kuhn fräsen sich dazu ins Ohr – wie auch ab und zu die kargen oder zarten Kläng eines Streichquartetts heranwehen.

Die Schreckensbilder, Erschießungsszenen, die aus dem Kontext des Jüdischen Museums gerissen wurden, wirken aber am neuen Ort befremdlich. Hier lässt die Perfomance sich nicht so ohne Weiteres mit Geschichte aufladen.

Die Todesfantasie, am Ende mit großer Vehemenz aufgegriffen, wandelt sich schließlich in ein Manifest des Lebens. Die Tänzer, die nacheinander zu Boden sinken, bilden einen Kreis aus Leibern und lauschen der Musik von Vivaldi. Dieses MAXXI, das demonstrieren Sasha Waltz und ihre tolle Truppe auf ihre Weise, ist ein Ort der Wandlungen und des Werdens. Sandra Luzina

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