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Kultur: Moderne Despoten

Steuerprüfung statt Gulag: William J. Dobson analysiert die Herrschaftsmethoden heutiger Diktaturen.

Diktatoren hatten es schon einmal leichter als heute. Noch vor einigen Jahren konnten sie ihr Volk allein mit Waffengewalt unterjochen. „Vorbilder“ dafür gab es reichlich: Stalin, der Millionen in die Gulags deportieren ließ; Mao Tse-tung, dessen „großer Sprung“ 35 Millionen Chinesen das Leben kostete; Pol Pot, auf dessen „Killing Fields“ beinahe zwei Millionen Kambodschaner starben; Hafiz al Assad, der 1982 in Hama mehr als 25 000 Syrer töten ließ und dessen Sohn ihm heute nacheifert.

Doch Syrien steht zugleich für einen Wendepunkt. Zwar begeht auch dort eine Diktatur bis heute schwere Verbrechen. Aber sie sieht sich größerem Widerstand gegenüber als jemals zuvor – ein Phänomen, das in den letzten Jahren global zu beobachten ist. Dabei war diese Entwicklung alles andere als ein Selbstläufer: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten Diktaturen die Welt an den Abgrund gebracht. Dann wichen sie nach und nach demokratischen Staatsformen. Hatten 1974 lediglich 41 Demokratien existiert, hat sich innerhalb der vergangenen drei Jahrzehnte die Zahl der Demokratien verdreifacht.

Doch das vielbeschworene „Ende der Geschichte“ in Form des Verschwindens einander unversöhnlich gegenüberstehender politischer Systeme kam nicht. Im Gegenteil: Die Demokratiebewegungen erlebten Stagnation und Rückschritt. Im Jahr 2010 war die Zahl der Menschen, die in politischer Freiheit lebten, auf den niedrigsten Stand seit 1995 gesunken. Wie es dazu kommen konnte, untersucht William J. Dobson in einem packend geschriebenen Sachbuchthriller. Der Journalist analysiert die Herrschaftsmethoden heutiger Diktaturen und den Widerstand gegen sie. Denn die Spielregeln haben sich auf beiden Seiten verändert: Seit dem Ende des Kalten Krieges fällt Russland als Unterstützer von Despoten weitgehend aus. Die Fälle Syrien, Iran und auch Nordkorea sind seitdem eher Ausnahme als Regel.

Zugleich hat sich Demokratieförderung zu einem eigenen Geschäftsfeld entwickelt. Westliche Experten, Aktivisten und Wahlbeobachter bringen Menschenrechtsverletzungen, Korruption und Wahlbetrug ans Licht. Einheimische Oppositionelle und internationale Menschenrechtsgruppen unterlaufen die Medienzensur von Diktaturen, indem sie Aufnahmen von Gewalttaten direkt auf Online-Plattformen wie Youtube stellen. Hierdurch können Diktaturen heute zwar kaum mehr verhindern, dass ihre Verbrechen geheim bleiben. Aber auch sie haben sich weiterentwickelt. Nach Dobsons Analyse agieren sie weitaus raffinierter, gerissener und wendiger als früher. Angesichts des wachsenden Drucks von innen wie von außen würden die klügsten unter den heutigen Diktatoren ihre Regime nicht zu Polizeistaaten verfestigen oder sich von der Welt abschirmen. Vielmehr lernten sie dazu und passten sich der heutigen Zeit an.

Dobson beschreibt die Techniken, Methoden und Formeln, derer sich moderne autoritäre Staaten für ihren Machterhalt bedienen. Statt auf Massenfestnahmen, Exekutionskommandos und gewaltsames Vorgehen setzen sie vermehrt auf subtilere Formen von Zwang und Einschüchterung. So wird die Festnahme von Mitgliedern einer Menschenrechtsorganisation durch Steuerprüfungen oder Inspektionen des Gesundheitsamts ersetzt, um Gruppen von Dissidenten aufzulösen. Gesetze werden bewusst weit gefasst, um sie dann im Einzelfall gezielt gegen oppositionelle Gruppierungen zu richten, die als Bedrohung des Regimes betrachtet werden. Und anstatt freie Medien generell zu unterdrücken, erlauben moderne Despoten Ausnahmen meist in Form von Zeitungen, über die eine begrenzte öffentliche Diskussion zugelassen wird.

Auch wissen autoritäre Regime zunehmend um die Bedeutung des äußeren Scheins. Anstatt wie noch im 20. Jahrhundert bei Wahlen einen unrealistisch hohen Prozentsatz der abgegebenen Stimmen für sich in Anspruch zu nehmen und das Ergebnis offen zu manipulieren, geben sie vor, eine umkämpfte Wahl gewonnen zu haben. Und von Weitem wirken sie dabei fast demokratisch: Ihre Verfassungen sehen oftmals eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor.

Doch es gibt wichtige Unterschiede zu westlichen Demokratien, die diesen Namen auch verdienen: Autoritäre Staaten haben meist nur eine Parlamentskammer, besetzen einige Ämter durch Ernennung statt durch Wahl und geben verschiedenen Körperschaften unterschiedliche Aufsichtskompetenzen. Hier sieht Dobson moderne Diktaturen in einem verschwommenen Spektrum zwischen Demokratie und Autoritarismus arbeiten. Die meisten versuchten die Unterstützung ihres Volkes zu gewinnen, indem sie es zufriedenstellen. Scheitere dies jedoch, seien sie auch durchaus bereit, ihre Kritiker durch Angst und ausgewählte Formen der Einschüchterung mundtot zu machen.

Doch gerade Letzteres gelingt immer weniger. Gründe hierfür hat Dobson bei seinen Gesprächen mit Menschen gefunden, die sich dem Kampf für mehr Freiheit verschrieben haben. Dabei ist er nicht auf „blinde Idealisten“ gestoßen, sondern auf entschlossene und kampferprobte Aktivisten, versierte Strategen, Propagandisten und politische Analysten, die ihre Arbeit nach seiner Einschätzung mit Intelligenz, Sorgfalt und Sachverstand angehen.

Zugleich ist Dobson Realist: Er glaubt nicht daran, dass der Triumph über die Diktatur nur eine Frage der Zeit ist. Vielmehr halten sich Regimes, die bereits am Abgrund zu stehen schienen, an der Macht. Andere Diktaturen lösen sich überraschend auf. Für Dobson gibt es keine klare Korrelation zwischen der Brutalität, den wirtschaftlichen Härten, der ethnischen Zusammensetzung oder der Kulturgeschichte eines Regimes und der Wahrscheinlichkeit einer Revolution. Entscheidend sei, wie man sein Blatt spiele. Für Dobson geht es vor allem um Können – das Können eines Regimes gegen das seiner Gegner. Wer sich besser vorbereite, die größere Einigkeit und Disziplin zeige, trage wahrscheinlich den Sieg davon. Hinzu kommen zwei weitere Beobachtungen von Dobson, die auch vor dem Hintergrund der Arabischen Revolution Aufmerksamkeit verdienen: Eine Demokratie zu errichten ist schwerer als eine Diktatur abzuschaffen. Und es gibt keine Regionen in der Welt, die immun gegen demokratische Forderungen sind.



– William J. Dobson:
Diktatur 2.0. Ob Russland oder Ägypten, China oder Syrien – Diktaturen sind kein Auslaufmodell.

Karl Blessing Verlag, München 2012. 495 Seiten, 19,95 Euro.

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