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Die Musikerin, Schauspielerin und Romanautorin Marina Frenk

© Emanuela Danielewicz

Porträt der Schauspielerin, Musikerin und jetzt auch Romanautorin Marina Frenk: Moldawien und andere Schlamassel

Marina Frenk erzählt in ihrem Roman „Ewig her und gar nicht wahr“ von ihren russisch-jüdischen Wurzeln. Am Mittwoch tritt sie in der Volksbühne auf.

Woran erinnern sich die Menschen? Wirklich an den Tag am Schwarzen Meer? An Mamas Bikinimuster, Papas Schnurrbart, Sonnenölduft, Sand zwischen den Zehen, das Badegewusel? Oder doch nur an die Fotografie, auf der ein fünfjähriges Mädchen auf einem grellgrünen Gummikrokodil mit braunen Streifen hockt und Mama und Papa knietief im Wasser stehen. Im Gedächtnis werden sie eins – das Kinderfoto und die Erinnerung.

Für Kira, die Ich-Erzählerin, die den Eltern am Strand damals kurzzeitig abhanden kommt, verdichtet sich beides zu einem Gefühl: „Ich schluckte die langsam aus dem Hals in die Nase ziehenden Verlorenheitstränen hinunter und hielt die Zeit an.“ Abhanden kommen, merkt das Kind, ist ein Angstlust auslösender, Veränderungen schaffender Zustand. „Ich akzeptierte, dass ich verloren gegangen war, und versuchte mich zu verwandeln.“

Diese Entscheidung, die Marina Frenk zu Beginn ihres autofiktionalen Romandebüts „Ewig her und gar nicht wahr“ (Wagenbach Verlag, Berlin 2020, 240 Seiten, 22 €.) der Heldin Kira andichtet, darf man getrost auch der Autorin selbst unterstellen.

Frenk erhielt auch den "Hörspielpreis der Kriegsblinden"

Besonders wenn sie ihre moldavische Migrantenvita 2014 schon als wütenden Theatermonolog „Fuck you, Eu.ro-Pa!/Fuck you Moldova“ auf der Bühne des Maxim Gorki Theaters beackert hat.

Und wenn die den Prolog des Romans bildende, metaphorische Unbehaustheits-Erinnerung auch im autobiografischen Hörspiel „Jenseits der Kastanien“ eine Rolle spielt. Dafür wurde sie 2017 mit dem europäischen Radiopreis Civis ausgezeichnet, Frenks zweite Prämierung dieser Art.

Im Jahr zuvor erhielt sie mit Sibylle Berg den „Hörspielpreis der Kriegsblinden“ für die gemeinsame Arbeit „Und jetzt: Die Welt!“.

Die wird in Frenks Wohnung in Berlin-Friedrichshain derzeit von ihrem kleinen Sohn geprägt. Besser gesagt von seinem Spielzeug. Noch eine Parallele zur Romanheldin. Obwohl die 33 Jahre alte Schauspielerin, Musikerin und Autorin mit russisch-jüdischen Wurzeln und ausgeprägtem Schnellsprechtalent keinesfalls den manisch-introspektiven Hang ihrer Figur Kira teilt. Dazu hat Marina Frenk gar keine Zeit.

Vorhin ist sie mit dem Zug aus Bochum zurückgekehrt, wo sie am Schauspielhaus in Tschwechows „Iwanow“ unter der Regie des Intendanten Johan Simons mitspielt. Und vor der Buchpremiere am Mittwoch wollen noch diverse Vorstellungen gespielt und Interviews gegeben sein.

"Ich will einfach eine Geschichte erzählen"

Letzteres kann mit einer Frau, die nach sieben Jahren Ensemblemitgliedschaft von Schauspielhaus Bochum bis Gorki Berlin unbedingt wieder frei arbeiten wollte, allerdings erfrischend schnell gehen.

Frage, Antwort, zackbumm. Das klingt dann so.
Frage: Wollen Sie mit dem Roman, der in Erinnerungsfragmenten zurück zur Ausreise aus Moldawien in den Neunzigern und den Leiden der Großeltern im Zweiten Weltkrieg springt, die Gespenster eines Familientraumas austreiben?

Antwort: Ich bin nicht abergläubisch.

Nachfrage: Dann vielleicht der Generation der von Systemwechseln, Krieg und Antisemitismus gebeutelten Eltern und Großeltern ein Denkmal setzen? Antwort: Ich will einfach eine Geschichte zu erzählen. Da fängt man am besten mit den Dingen an, die man kennt.

Die Erfahrung Mutterschaft beispielsweise und die Flucht- und Auswanderungsgeschichten der von Chisinau in Moldawien über Brooklyn/New York bis Haifa in Israel versprengten Verwandtschaft. Heldin Kira lebt im heutigen Berlin. Die Malerin trägt dieselbe Mischpoke im vom Identitätsschlamassel verwirrten Kopf und versucht ihre Schaffenskrise mit dem Abmalen alter Familienfotos im Atelier auf dem Dachboden zu heilen.

Diesem inneren, mit Halluzinationen versetzten Monolog eines Thirtysomethings mit mitteleuropäischen Luxusproblemen stehen die ungleich handlungsgetriebeneren, dialogischen, teils in auktorialer Perspektive erzählten Schicksale der Vorfahren gegenüber. Sie fallen laut Marina Frenk literarisch und nicht historisch aus. Trotzdem erfährt man daraus viel über das einstige Bessarabien und die schwierige Gemengelage zwischen Rumänen, Juden, Ukrainern und Russen. Die Kraft fiktionaler Erinnerung wirkt.

Russisch ist Frenks Muttersprache

Russisch ist die Muttersprache von Marina Frenk. Sie ist sieben Jahre alt, als sie 1993 mit ihren Eltern nach Deutschland einreist. Und was ist das Erste, dass ihr jüdischer Vater zu seiner russischen Frau sagt, als sie vor dem Auffanglager Unna aus dem Lada steigen?: „Olga, lass’ uns zurückfahren.“

Doch die Töchter sollen es mal besser haben, als in dem vom Zusammenbruch der Sowjetunion gezeichneten Moldawien. Sie bleiben. Was folgt ist eine säkulare Migrantenkindheit in Dortmund-Nordstadt, das Schauspielstudium an der Folkwang Universität, Engagements und natürlich die Musik. Unter anderem als Sängerin der Folkjazz-Band Kapelsky und der Klezmer-Truppe The Disorientalists, in der Frenk zusammen mit den Berliner Neo-Klezmer-Helden Yuriy Gurzhi und Daniel Kahn auftritt.

So wie jetzt bei der Buchpremiere, bei der auch die Kantorin Svetlana Kundish ein jiddisches Lied singt. Als Reminiszenz an die Sehnsucht und Nostalgie, die den Altvorderen vorbehalten ist.
Für Menschen wie sie, in deren Kopf ganz selbstverständlich zwei Sprachen durcheinanderlärmen, hat Marina Frenk schon in ihrem Hörspiel einen selbstironischen Begriff gefunden, der jetzt im Roman wieder fällt: DDNO, also Definitiver Depp ohne Nationalität.

Wobei Frenk durchaus über einen deutschen Pass verfügt. Und über das Selbstbewusstsein einer Künstlerin, die sich die Abgründe der Identitätssuche, die die Romanheldin Kira noch gefangen hält, längst erfolgreich von der Seele gesungen, gespielt und geschrieben hat.

„Ich habe keine Heimat“, sagt Marina Frenk, „jedenfalls keine, die mit einer Nationalität verknüpft ist.“ Ein klarer Blick aus blauen Augen lehrt, dass sie auch keine nötig hat. Nach Moldawien will sie eines Tages trotzdem wieder reisen. Mit ihrem Sohn. Wenn er alt genug ist. Er soll die verlassene Heimat mit eigenen Augen sehen. Auf dass sich die Familiensaga weiterspinnt.

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