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Eine frühe Lara Croft. Monica Vitti in „Modesty Blaise“, Regie: Joseph Losey.

©  Arsenal

Monica Vitti im Arsenal Kino: Die Tagträumerin

Diva, Muse, Komödiantin: Das Berliner Arsenal-Kino widmet der italienischen Schauspielerin Monica Vitti eine Retrospektive.

Monica Vitti war eine Sensation, als sie 1960 bei den Filmfestspielen in Cannes in Michelangelo Antonionis Film „L’avventura“ („Die mit der Liebe spielen“) die internationale Bühne betrat. Ihre aparten Gesichtszüge erinnerten an mythische ägyptische Schönheiten. Diese Blondine setzte ihre schmale, hochaufgeschossene Erscheinung in Szene, ohne posieren zu müssen. Mit ihr hatte die aufdringliche Affektiertheit der damals allgegenwärtigen Sexbomben ein Ende, denn die junge Römerin strahlte eine kultivierte Melancholie aus, gerade die richtige Portion sanfter Fragilität, die der Regisseur für seine Zeitbilder existenzieller Verlorenheit brauchte. Jetzt bringt eine Retrospektive im Berliner Arsenal-Kino Monica Vittis Kultfilme mit Michelangelo Antonioni auf die Leinwand und bietet zum Vergleich Begegnungen mit ihrer zweiten, nicht minder formvollendeten Karriere als Komödiantin.

Monica Vittis berühmter Blick ins Leere, jene legendäre Anmutung somnambulen Driftens, mit der sie in „L’avventura“ zum kühlen Leitbild des neuen europäischen Kunstkinos avancierte, war ein wohl gesetztes Missverständnis, so viel steht fest. Schon als Kind nämlich musste die 1931 als Maria Luisa Ceciarelli geborene Tochter aus bürgerlichem Haus eine Brille tragen. Auf dem Theater, wo sie als ausgebildete junge Schauspielerin in den fünfziger Jahren reüssierte, bemerkte niemand die fremde Aura ihrer astigmatischen Augen, erst die Großaufnahmen in „L’avventura“ und ihren folgenden Spielfilm-Preziosen mit Michelangelo Antonioni, „La notte“ („Die Nacht“), „L’eclisse“ („Liebe 1962“) und „Deserto rosso“ („Die rote Wüste“) stellten ihr Geheimnis wirkungsbewusst aus.

Ihre Figuren stellen das Blendwerk männlicher Egos in Frage

Mit Antonioni avancierte Monica Vitti zur Ikone eines am Unbehagen über den eigenen neureichen Wohlstand und Weltschmerz krankenden Bürgertums. Sanft und beharrlich stellen ihre Figuren das Blendwerk männlichen Egos, das ihre Partner entfalten, infrage. In „L’avventura“ macht sie sich nach dem mysteriösen Verschwinden ihrer Freundin bei einem Yacht-Ausflug mit deren Geliebtem auf eigene Faust auf die Suche, verliebt sich bei der magisch endlosen Erkundungstour durch Sizilien voller Zweifel in diesen Mann und erwacht am Ende desillusioniert aus dem brüchigen Liebesabenteuer. In „La notte“, dem Zerfallsdrama einer Ehe, verkörperte Monica Vitti neben Jeanne Moreau und Marcello Mastroianni eine partymüde Unternehmertochter, die die Langeweile und bittere Frustration der Gesellschaft im Haus des Vaters ironisch auf den Punkt bringt. Sie schleudert ihre Puderdose über die Schachbrettfliesen der väterlichen Villa und löst damit ein Spiel unter den Gästen aus, das deren Instinkte offenbart.

Auch in „L’eclisse“ und radikaler noch in „Deserto rosso“ verkörpert Monica Vitti sensitive, sich scheinbar im Augenblick verlierende Frauen, die das Ende unmöglicher Beziehungen ohne Lamento hinnehmen. Doch offensichtlich empfand Monica Vitti, dass Michelangelo Antonionis inszenatorischer Furor, aus ihr eine allegorische Skulptur über das schmerzliche Los der Entfremdung zu meißeln, andere Talente in ihr brachliegen ließ. Mitte der 1960er Jahre trennte sie sich von ihrem Lebenspartner und Leibregisseur und begann eine zweite Karriere, die sie mit Regisseuren wie Joseph Losey, Ettore Scola, Alberto Sordi, Luis Buñuel und anderen zusammenführte.

Ihre elementare Eleganz hat sie nie eingebüßt

Schärfer könnten die Kontraste zu ihrem introvertierten Antonioni-Image nicht sein als in Joseph Loseys, vom Publikum damals nicht akzeptierter Comicverfilmung „Modesty Blaise“, eine AgentenFilm-Parodie. Zur selben Zeit, als Antonioni die Pop-Metropole London als Schauplatz für seinen Film „Blow Up“ wählte, ging Monica Vitti dort als Hybrid-Figur zwischen James Bond und Lara Croft eigene Wege und spielte die reiche, müßige, aus schierer Abenteuerlust in die Verbrecherjagd ausschweifende junge Frau Modesty Blaise. Elegant angedeutete Action, dreiste Lust an bunten Gimmicks und ein üppiges Arsenal an Waffen und Pop-visionärem Meublement machen den Film auch heute noch zu einem Vergnügen.

Über die launige Präsenz der Italianità von Monica Vitti hinaus stellen die Komödien der Retrospektive auch eine Wiederbegegnung mit dem politischen Anspielungsreichtum des italienischen Unterhaltungskinos dar. So jongliert Ettore Scola in seiner drallen Herz-Schmerz-Dreiecks- Tragikomödie „Dramma della gelosia“ („Eifersucht auf Italienisch“) virtuos mit den Macken und Wunschträumen der beiden Liebhaber, die das Leben der Blumenverkäuferin Adelaide (Monica Vitti) mit Verve ruinieren. Marcello Mastroianni gibt den kommunistischen, in der Liebe chauvinistischen Bauarbeiter, Giancarlo Giannini den solidarischen Pizzabäcker. Alle erleben Vorstadt-Glück und fahren auf dem klassischen Ticket der Eifersucht zur Hölle. Monica Vitti ist das poly-amouröse laute Herz des Dramas, ohne je ihre elementare Eleganz einzubüßen.

„Monica Vitti – Ikone, Diva, Komödiantin“, Kino Arsenal, 22. – 31. März

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