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Monika Grütters (CDU).

© Jens Kalaene/dpa

Monika Grütters zur Corona-Krise der Kultur: „Ich verstehe die Verzweiflung“

Eine Milliarde für den „Neustart Kultur“: Ein Gespräch mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters über die Verteilung der Gelder und den Abstand im Theatersaal.

Die Kunsthistorikerin und Kulturpolitikerin Monika Grütters (CDU) ist seit 2013 Kulturstaatsministerin. Anfang Juni hat sie im Zuge der Coronakrise das Konjunkturpaket „Neustart Kultur“ angekündigt. Es umfasst eine Milliarde Euro aus Bundesmitteln. Es soll die kulturelle Infrastruktur erhalten und Kreativen und Künstlern den Übergang in die Herbstsaison ermöglichen. Das Gespräch führte Christiane Peitz.

Frau Grütters, eine Milliarde Euro vom 130-Milliarden-Konjunkturpaket bekommt die Kultur. Das ist viel, die Hälfte Ihres Jahresetats. Andererseits beträgt der jährliche Umsatz der Kultur- und Kreativwirtschaft 160 Milliarden Euro. Auch im Vergleich zu neun Milliarden Euro für die Lufthansa ist es eher wenig, wie Berlins Kultursenator Klaus Lederer anmerkte. Genügt das Geld?
Genaues Hingucken hilft, linke Vergleiche von Äpfeln mit Birnen helfen nicht. Bei der Lufthansa geht es um eine Mischung aus rückzahlbaren Krediten und staatlicher Beteiligung, die irgendwann wieder verkauft wird. Mit unseren Hilfen für die Kulturlandschaft ist das überhaupt nicht vergleichbar. Wir ermöglichen damit den Neustart der Künste – und das, obwohl die Kulturhoheit vor allem bei den Ländern liegt. Auf Bundesebene ist es uns jedenfalls gelungen, ein eigenes, klar abgegrenztes Programm zur Bewältigung der Coronakrise zu bekommen. 

Auch bekommt die Kultur im Rettungspaket prozentual deutlich mehr Geld, als der Anteil der Kultur am Bundeshaushalt in normalen Zeiten ist. Darauf bin ich stolz. Darüber hinaus gibt es jede Menge Unterstützung des Bundes auch an anderer Stelle.

Kommen die freischaffenden Künstler bei der Bundes-Milliarde nicht zu kurz? Wer wegen des Lockdowns keine Einnahmen mehr hat, wird auf die Grundsicherung verwiesen, eine Art erleichtertes Hartz IV.
Warum muss man eigentlich mit Vehemenz das Sozialschutzpaket schlechtreden, das inzwischen so vielen Menschen, auch Kreativen, geholfen hat – noch dazu mit derart plakativen Behauptungen? Wir haben es hier mit einem fast bedingungslosen Grundeinkommen zu tun.

Anders als bei Hartz IV muss man sich eben nicht arbeitslos melden und einen neuen Job suchen, kann weiter selbstständig bleiben, anerkannte Altersrücklagen werden nicht angetastet. Nicht nur die Durchschnittsmiete wird übernommen, sondern die reale, meist höhere Miete. Es muss auch niemand zum Jobcenter gehen, den Antrag kann man digital stellen.

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Diese Erleichterungen waren nicht ganz leicht durchzusetzen. Aber es ist gut, dass wir sie schnell beschlossen haben – für alle Soloselbstständigen. Viele von ihnen werden von der Krise besonders hart getroffen, so können wir ihnen wenigstens die existenziellen Ängste nehmen. Gerade im internationalen Vergleich müssen wir uns da wahrlich nicht verstecken.

Kreative sollen von ihrer Leistung leben können, das betonen Sie in anderen Zusammenhängen unermüdlich. Die Enttäuschung ist jetzt groß.
Ich weiß, an mich wird täglich der Wunsch herangetragen, dass den Kulturschaffenden eine Sonderrolle zugestanden wird. Ich verstehe und kenne die Lebenssituation der Künstlerinnen und Künstler sehr gut. Aber die Lage der Soloselbstständigen ist kein isoliertes Problem von Kreativen. Solidarität mit Maskenbildnern, Hausmeistern, Tontechnikern, Fußpflegern und Dozenten ist auch ein wichtiger Wert – oder sollten wir sie anders behandeln?

Und warum hat es mit dem fiktiven Unternehmerlohn nicht geklappt?
Ich habe mich bis zuletzt dafür starkgemacht, weil Menschen in vielen Berufen, gerade auch in der Kreativwirtschaft, keine nahe Neustart-Perspektive haben. Deshalb wäre eine solche Leistung im Wirtschaftsministerium wünschenswert – nicht zwangsläufig auf Bundesebene.

Sofern es um freiberufliche Kreative geht, wäre es sehr sinnvoll, wenn diese Aufgabe die Bundesländer übernähmen, bei denen die hoheitliche Verantwortung für die Kultur liegt. Einige Länder wie Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hamburg haben da einen guten Weg gefunden.

Auf Bundesebene haben wir das milliardenschwere Sozialschutzpaket für Soloselbstständige aller Berufsgruppen beschlossen, deren Einkünfte durch die Corona-Krise weggebrochen sind. Ich verstehe, wie schwer es vielen fällt, zum Jobcenter zu gehen, wenn sie völlig unverschuldet plötzlich ohne Beschäftigung und Einkommen sind. Aber das gilt eben für die Fußpflegerin und den Fitnesstrainer genauso wie für den Violinisten oder die Schauspielerin.

Protest am Breitscheidplatz. Die Aktion „Ohne Kunst wird es still“ von Kulturschaffenden, Juni 2020.
Protest am Breitscheidplatz. Die Aktion „Ohne Kunst wird es still“ von Kulturschaffenden, Juni 2020.

© imago

Zurück zu Ihrer Milliarde: Sie soll vor allem die Infrastruktur stützen?
Ja, so wollen wir die Einrichtungen stützen. Bühnen, Festivals oder Galerien sind die Arbeitsplätze und Einsatzorte der Künstlerinnen und Künstler. Diese wollen wir retten, damit sie bald wieder Geld verdienen können.

Unser „Neustart“-Programm richtet sich vor allem an die Kultureinrichtungen, die vornehmlich privatwirtschaftlich organisiert sind. Um die Dimension unseres Programms einmal klar zu machen: Von der Gesamtsumme, die der Staat jährlich für die Kulturförderung ausgibt, stammen rund 45 Prozent von den Kommunen, 40 Prozent von den Ländern, nur 15 Prozent vom Bund. 

Eine Milliarde, das ist noch mal die Hälfte drauf: Würden alle so verfahren, stünden jetzt deutlich über fünf Milliarden Euro für die Rettung der deutschen Kulturlandschaft zur Verfügung. Hinzu kommen ja weitere Leistungen des Bundes, viele auch aus dem Wirtschaftsministerium, die die Kulturunternehmen großflächig in Anspruch nehmen.

Und wer entscheidet, nach welchen Kriterien das Geld verteilt wird? Sie sagten bei der Vorstellung des Hilfspakets, das regeln die Branchenverbände. Die Kinoverbände wussten am nächsten Tag nichts Genaues.
Bitte keine Legendenbildung, wir haben seit Wochen fast Standleitungen zu all diesen Verbänden. Wir treffen uns regelmäßig und telefonieren beinahe täglich miteinander. Mit den Kinoverbänden, die sich leider nicht auf einen gemeinsamen Termin für die Wiederaufnahme des Spielbetriebs in allen Bundesländern einigen konnten, mit den Verleihern und Produzenten genauso wie mit dem Deutschen Musikrat, dem Börsenverein des deutschen Buchhandels oder dem Bühnenverein.

Wir alle stehen vor enorm schwierigen Aufgaben, denn die Situation ist ja für alle völlig neu. Auch die Branchen müssen sich für die Förderkonzepte viel Wissen aneignen. Die Abstimmungsprozesse laufen mit Hochdruck.

Wer regelt die Details? Musik und Theater bekommen je 150 Millionen, der Film 120 Millionen, für pandemiebedingte Investitionen gibt es 250 Millionen Euro …
Die Milliarde soll ja effektiv eingesetzt und möglichst noch 2020 ausgegeben werden, spätestens aber 2021. Aber der Film, die Galerien, die Literatur, die Musikveranstalter, die Privattheater, die freie Tanzszene – das sind Tausende Akteure in Deutschland. Deshalb geht es nicht anders als mit den Dachverbänden, in denen sie organisiert sind. 

Ich kann die Verzweiflung vieler einzelner Betroffener verstehen, und wir brauchen natürlich eine rasche, aber auch fundierte Analyse der Situation. Und am Ende muss es natürlich eine vernünftige operative Umsetzung geben - das ist für alle Beteiligten deutschlandweit gerade absolutes Neuland.

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Operative Umsetzung, das bedeutet konkret?
Ein Rechenbeispiel: Wenn jede bewilligte Fördermaßnahme mit 100 000 Euro ausgestattet ist – und es wird natürlich auch niedrigere und höhere Ausschüttungen geben –, müssten wir 10 000 Anträge prüfen und die Umsetzung begleiten.

Das ist verwaltungstechnisch für ein Ministerium, das „nebenbei“ ja auch noch seine Kernaufgabe bewältigen muss, nicht leistbar. Deshalb wird die Abwicklung unter anderem über die fünf bundesfinanzierten Kulturförderfonds laufen, zum Beispiel über den Fonds Darstellende Künste. Sie haben Jurys, also bewährte Prüfmechanismen. 

Beim Film prüfen wir, in welcher Form wir die Filmförderungsanstalt (FFA) in die Abwicklung einbeziehen können. Die Politik muss natürlich wie bei jedem Förderprogramm die Kriterien vorgeben, was finanziert werden kann. Bei den Umbaumaßnahmen z.B. können das Plexiglasscheiben sein, eine andere Bestuhlung, neue Wegeführung, Lüftungsanlagen….

Aber ein Branchengremium wie die  FFA entscheidet nicht über die Aufteilung des Kuchens zwischen Produzenten, Kinos und Verleihern?
Die können sich ja nicht selbst begünstigen, das machen wir. Die FFA sammelt die Kinoabgaben und die der anderen Verwerter von Kinofilmen und schüttet sie an die Branche aus. Das sind Gelder, die zurzeit nur in geringem Maße fließen. In diesem Jahr fehlen Einnahmen in zweistelliger Millionenhöhe. Der Einbruch ist so groß, dass auch die FFA-Mitarbeiter um ihre Arbeitsplätze bangen. Da ist es auch unter diesem Gesichtspunkt eine gute Idee, die FFA bei der Vergabe der 120 Millionen Euro einzubinden.

Ab wann können Anträge gestellt werden?
Für das gesamte Konjunkturpaket sollen die parlamentarischen Beratungen am 3. Juli abgeschlossen sein. Wir werden dann rasch Förderkonzepte nennen und auf unserer Webseite veröffentlichen sowie festlegen, wer für welche Sparte der jeweilige Ansprechpartner ist. Meine Behörde arbeitet Tag und Nacht, auch meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben oft kein Wochenende mehr. Was wir alle hier stemmen, noch dazu im Homeoffice, ist unglaublich. Mein gesamtes Team verdient großen Dank!

Bitte keine Gratismentalität im Netz

Hier probt das Berliner Theater Strahl - anders als in Berlin darf in NRW bereits wieder gespielt werden.
Hier probt das Berliner Theater Strahl - anders als in Berlin darf in NRW bereits wieder gespielt werden.

© dpa/R. Weihrauch

Umbauten wegen der Abstandsregeln werden finanziert. Aber wegen der reduzierten Zuschauerzahl bedeutet das Einnahme-Einbußen; die Säle dürfen nicht voll werden. Macht Ihnen das Sorgen?
Ja, das ist ein großes Problem. Ich bin darüber sehr unglücklich. Damit Veranstaltungen sich wirtschaftlich rechnen, wären andere Abstandsregeln einfach besser. Zum Beispiel könnte jede Reihe versetzt gefüllt werden. Andernfalls sind nur ein Drittel oder sogar nur ein Viertel der sonst üblichen Zuschauerzahlen möglich.

In Österreich wird die Ein-Meter-Regel bereits praktiziert, und in der Schweiz muss nur noch ein Sitz zwischen den Gästen in Theatern und Kinos freigehalten werden. Ich wünsche mir das auch für Deutschland; aber manche Wissenschaftler sehen das anders, das akzeptiere ich natürlich. Ich werde nicht lockerlassen und immer wieder nachfragen, ob wir da zu einer Anpassung kommen können – auch mit den Erfahrungen der Nachbarländer vielleicht.

Sind Sie auch bei den staatlichen Bühnen mittel- und langfristig in Sorge?
Der Bund betreibt zwar keine Bühne direkt, aber natürlich sorge ich mich um alle Bühnen – allein schon, weil ich sie als Besucherin selbst schmerzlich vermisse. Um wie viel schlimmer muss das für die Künstlerinnen und Künstler sein. Für sie ist es wahrscheinlich wie ein Entzug, es ist ihre Identität, ihr Leben. Tänzerinnen und Tänzer zum Beispiel können oft nur zehn oder 15 Jahre ihren eigentlichen Beruf ausüben.

Da ist so eine erzwungene Pause, deren Ende nicht absehbar ist, besonders dramatisch. Auch die Opern und Konzerthäuser stehen vor großen Problemen. Singen und Musizieren sind unter Corona-Bedingungen leider nur sehr schwer möglich. Da setzen wir auf aktuelle fundierte Studien, um wissensbasiert Entscheidungen treffen zu können.

Ist Kulturföderalismus in Krisenzeiten ein Nachteil? Würden Sie gerne mehr tun, als bei Ländern und Gemeinden „nur“ Überzeugungsarbeit zu leisten?
Ich werde den Föderalismus immer verteidigen, bin aber auch stolz darauf, dass wir als Bund oft mit gutem Beispiel vorangehen. Mein Haus hat zum Beispiel eine großzügige Regelung getroffen, um den vom Bund geförderten Einrichtungen und Projekten die Zahlung von Ausfallhonoraren an die freischaffenden Künstler zu ermöglichen. Ich wünsche mir, dass alle Länder und Kommunen das so praktizieren.

Der Musikrat fordert die Umwandlung der KfW-Darlehen in direkte Zuwendungen, wegen des noch lange eingeschränkten Spielbetriebs. Eine gute Idee?
Achtung: Es geht auch hier um Steuergelder. Da müssen wir sehr genau hinschauen. Viele Branchen und Unternehmen haben doch ähnliche Probleme, und Arbeitsplätze sind überall wichtig. Über Forderungen wie die, die Stundung von Krediten über fünf Jahre hinaus zu verlängern, sollte man aber nachdenken.

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Sie freuen sich über den Kreativitätsschub bei den digitalen Kulturangeboten. Ist das nicht auch Autosuggestion? Nichts kann das Live-Erlebnis mit Publikum ersetzen.
Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu. Trotzdem war es sehr schön, digital das Theatertreffen zu besuchen, den „Hamlet“ mit Sandra Hüller zum Beispiel. Ganz toll fand ich Andreas Homokis „Wozzeck“ aus der Oper Zürich, mit Christian Gerhaher in der Titelrolle – nur im Stream, aber anders hätte ich ihn vielleicht nie gesehen. Was mich bekümmert, ist die Gratismentalität im Netz. Warum bieten fast alle Aufführungen kostenlos an, statt Online-Geschäftsmodelle zu erproben – für deren Entwicklung wir übrigens Geld geben wollen? Auch im Netz müssen Künstler von ihrer Leistung leben können. 

Die Staatlichen Museen zu Berlin waren nicht gerade Leuchttürme bei den digitalen Angeboten; die Wiedereröffnung verläuft zögerlich. Wie nehmen Sie das als oberste Dienstherrin wahr?
Auch bei den Staatlichen Museen wird in der Krise wacker gearbeitet. Bei der Digitalisierung liegen sie im weltweiten Vergleich aber in der Tat zurück. Deshalb haben wir zweistellige Millionensummen für das von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz moderierte Projekt „Museum 4.0“ bewilligt, mit sehr tollen Angeboten.

Die Evaluation der Stiftung Preußischer Kulturbesitz soll demnächst vorgestellt werden. Was erhoffen Sie sich davon?
Es geht um Tradition, um Konstruktion, um die Governance-Strukturen, den Geist und das Selbstverständnis. Das ist ein Riesenauftrag an den Wissenschaftsrat. Die Ergebnisse sollen Mitte Juli veröffentlicht werden. Ich erhoffe mir einen Durchbruch bei der Frage, welche Kulturstiftung Deutschland in seiner Hauptstadt braucht.

Es fängt beim Namen an, geht über die Finanzausstattung bis hin zur Rechtsform. Die SPK hatte seit den Fünfzigerjahren ihre Berechtigung, aber ist sie so noch zeitgemäß in einer globalisierten Welt? Wir führen ja gerade eine große Diskussion über Denkmale und Traditionen. Auch in Bezug auf die Stiftung hoffe ich auf eine breite Debatte, im Parlament und in der Öffentlichkeit. Mit ehrlichen Fragen und ehrlichen Antworten, auch wenn es unbequem wird.

Das Gespräch führte Christiane Peitz.

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