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Streitlustig. Die 1941 geborene Schriftstellerin Monika Maron nahm in einem Interview Uwe Tellkamp in Schutz. Sie verstehe die Aufregung nicht, sagte sie dem Deutschlandfunk. Schließlich würden die meisten seiner Punkte ohnehin diskutiert.

© picture alliance / dpa

Monika Marons neuer Roman: Wut der Straße, Klugheit der Krähe

Von "Genderscheiß" und Glaubenskriegen: Monika Marons Roman „Munin oder Chaos im Kopf“ verhandelt an einer Berliner Nachbarschaft die Spannungen im Land.

Die Menschen sind gereizter geworden. Das aber nicht etwa deshalb, weil die Welt sich verändert hätte, sondern vielmehr, weil sie sich eben nicht mehr zu verändern scheint. Weil die Kriege, Krisen und der Terror kein Ende nehmen und weil der letzte Glaube, der in einer glaubensarmen Welt noch verloren gehen konnte, nämlich der Glaube an ein gutes Leben ohne Krieg, verloren gegangen ist. Das Chaos kommt näher. Zieht eure warmen Jacken an, Kinder.

Das ist die Ausgangslage in Monika Marons zeitdiagnostischem Roman „Munin oder Chaos im Kopf“. So jedenfalls versteht ihre Ich-Erzählerin Mina Wolf die zunehmend aggressive Stimmung im Land oder zumindest in ihrer kleinen Straße in Berlin-Wilmersdorf. Da herrscht Unfriede, seit eine verrückte Frau den ganzen Sommer über Tag für Tag auf dem Balkon Arien singt, lautstark und hässlich, sodass Mina, die für die Festschrift einer westfälischen Kleinstadt einen Essay über den Dreißigjährigen Krieg schreiben muss, gezwungen ist, sich auf Nachtarbeit zu verlegen. Mit der sich formierenden Wutbürgerbewegung in ihrer Straße will sie nichts zu tun haben, sie registriert die allgemeine Erregung eher, als sie zu teilen.

Aber schon da ist klar, dass es nicht bloß um die Nachbarschaft, sondern um den Zustand des ganzen Landes geht. Wenn die Menschen sich darüber echauffieren, dass es nicht mehr möglich sei, eine Verrückte zum Schweigen zu bringen oder ihr den Mietvertrag zu kündigen, auch wenn sie die ganze Straße terrorisiert, lauert hinter dem konkreten Einzelfall das Allgemeine. Man darf die Verrückte ja nicht mal mehr als verrückt bezeichnen, obwohl das Ver-rückt-Sein doch eine so treffende Bezeichnung wäre. Wird man doch wohl mal noch sagen dürfen.

Mina Wolf ist befremdet von den Ereignissen in der Nachbarschaft

Spätestens da, wo die Sprache – und damit das Weltverständnis – auf dem Spiel steht, verliert Mina Wolf ihre Gelassenheit. Sie ärgert sich über den „Genderscheiß“, die „ständig wachsende Anzahl menschlicher Geschlechter“, über Frauen, die gegen das Maskulinum Krieg führen ebenso wie über Zeitungsartikel, in denen jemand erklärt, „warum wir mit Rücksicht auf muslimische Mitbürger auf einige säkulare Selbstverständlichkeiten verzichten müssten“. Man kann sagen: Das Chaos der Welt bildet sich im Kopf von Mina Wolf getreulich ab. So befremdet sie auf die Ereignisse in ihrer Nachbarschaft schaut, so sehr ist sie doch Teil des alles zersetzenden Ressentiments, das auf den gerechten Zorn folgt.

Diesen Prozess zeichnet Monika Maron an ihrer Romanfigur nach, und es wäre viel zu einfach und völlig verkehrt, sie deshalb in die AfD-Ecke zu stellen, wie es in einigen Rezensionen geschehen ist. Dafür ist ihre Mina dann doch zu klug und der Roman zu vielschichtig. Im Unterschied zu früheren Maron-Heldinnen hat diese Frau ihre Ehe und wohl auch ihre Liebes-Leidenschaften hinter sich, obwohl sie noch keine 50 ist. Auch die Herkunft aus der DDR, an der Maron sich lange Zeit mit heißem Zorn abgearbeitet hat, spielt keine Rolle mehr. Nur der Name Mina verweist darauf, weil ihre Eltern kurz nach dem Mauerbau von der gleichnamigen italienischen Schlagersängerin und ihrem Lied vom heißen Sand und verlorenen Land so angetan waren. Mag sein, dass Maron, die in einem Radiointerview gerade ihren Dresdner Kollegen Uwe Tellkamp in Schutz genommen hat, ihren Zorn als nötigen Antrieb des Schreibens heute aus anderen Gegenständen gewinnen muss, weil die DDR dazu nicht mehr taugt.

Die Krähe Munin schlägt eine Brücke in die Vergangenheit

Zunächst ist es die Forschungsarbeit über den Dreißigjährigen Krieg, mit der Mina Wolf in eine unübersichtliche Epoche mit nur schwer zu begreifenden Interessensgegensätzen, Religionskonflikten, Machtkonstellationen eintaucht und dabei mehr und mehr das Gefühl entwickelt, auch heute in einer Vorkriegsepoche zu leben. Eine ähnliche Diagnose stellte auch Daniel Kehlmann in seinem Roman „Tyll“. Maron aber nähert sich der Geschichte als Lesende über Gedichte von Annette von Droste-Hülshoff und über das Tagebuch des Müllerssohns Peter Hagendorf, der sein Leben als Söldner wechselnder Dienstherren bestritt und für jeden kämpfte, mordete und plünderte, der ihm pünktlich den Sold auszahlte. Wie verhält sich aber so einer, der keine Überzeugung hat und bloß den Krieg kennt, zu den Söldnern des IS, die für eine Überzeugung einzutreten glauben? Die Zusammenhänge werden bloß angedeutet – aber vielleicht sind die Unterschiede zwischen den Zeitaltern doch größer, als es Monika Maron bzw. Mina Wolf so vorkommt.

Eine Brücke in die Vergangenheit schlägt dann aber auch die Krähe, der der Roman seinen Titel verdankt. Munin war einer der beiden Raben des nordischen Göttervaters Odin. Er war zuständig für die Erinnerung, und so tritt diese Krähe auch ins Leben der Romanheldin als eine nächtliche Besucherin, die im schwarzen Sessel Platz nimmt und – angelockt von Wurst und Hundefutter – ein Gespräch beginnt, das davon handelt, was den Menschen vom Tier unterscheidet und ob es einen Gott gibt. Klar, sagt die Krähe Munin, „ich bin Gott“, weil eben alles, was lebt, Gott ist. Aber das verstehen die Menschen nicht, die daran gewöhnt sind, zu vermuten, es gäbe Gott nicht, bloß weil sie nicht an ihn glauben. Dass Munin aber auch so klingt, als wäre es die weibliche Endung zu Mun, ist ein kleiner Scherz am Rande, der aber die Krähe zum Weibchen macht.

Gewalt allerorten, Hass aufeinander

Eine sprechende Krähe ist seltsam genug. Maron schafft es aber, dass man sich darüber nicht wundert. Schon in ihrem vorigen Roman „Zwischenspiel“ genügte ein „impressionistisches Flirren“ vor den Augen, um die Wirklichkeit zu verwandeln und das Gespräch mit einer Toten möglich zu machen. Auch die Krähe ist eine Todesbotin und eine Zeugin der Geschichte, die von den Schlachtfeldern vergangener Kriege zu berichten weiß. Vielleicht hat sie deshalb nur noch einen Fuß. Das Gespräch mit der Versehrten ist ein Selbstgespräch der Heldin. Sie heißt zwar Wolf und begreift, dass es „das Tier in ihr“ ist, das die Krähe so zutraulich macht, sagt aber über sich: „Das Tier in mir war mir unheimlich.“ Die Gewalt allerorten, der Hass aufeinander, ob im Dreißigjährigen Krieg oder in der eigenen Straße, erscheinen als anthropologische Konstante. Es gibt keinen Fortschritt der Friedfertigkeit. Im Grunde sind wir immer noch die haarigen Wesen mit dem Faustkeil in der Hand, die übereinander herfallen, wenn das Essen knapp wird.

Was tun, wenn man das alles nicht länger erträgt?

Maron konstatiert diese eher pessimistische Weltsicht aus der Abgeschiedenheit der nächtlichen Wohnung heraus. Sie besitzt ein feines Gespür für Stimmungen und eine leise Ironie, die sie der Düsternis entgegensetzt. Die Begegnung mit dem Tier holt ihre Heldin aus der Ecke der Ressentiments und der mitunter recht grob schraffierten Polit-Plattitüden heraus. Was den Menschen ausmacht, ist sein elender Verstand, sein Hang zum Glück und der Zwang, immer alles ändern zu wollen, was ihm missfällt. „Und dabei bringt ihr dann alles durcheinander“, sagt die kluge Krähe. „Der Tod darf nicht sein, Unglück darf nicht sein, euer Gesicht kommt euch falsch vor. Nichts könnt ihr lassen, wie es ist, als wärt ihr Gott.“

Aber was soll man tun, wenn man das, was ist, nicht länger erträgt? Von diesem Konflikt handelt dieser ziemlich vertrackte Roman, auch wenn es bloß um eine nervtötende Sängerin auf dem Balkon geht. Maron bietet als erzählerischen Ausweg an, dass das Problem sich irgendwann von alleine regelt. Die Stille, die danach einsetzt, ist aber getränkt von Schuld. Auch das Geschehenlassen hilft nicht weiter. Der Disput mit der Krähe muss also fortgesetzt werden.

Monika Maron: Munin oder Chaos im Kopf. Roman. S. Fischer, Frankfurt/Main 2018, 222 Seiten, 20 €.

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