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Kultur: Monster wie du und ich

Im Treppenhaus stehen ätzende Farbschwaden.Die fünf polnischen Sprayer der "Internationalen Graffitiguerilla" bewegen sich hastig durch den penetranten Acrylgestank, obwohl sie sich gar nicht beeilen müßten.

Im Treppenhaus stehen ätzende Farbschwaden.Die fünf polnischen Sprayer der "Internationalen Graffitiguerilla" bewegen sich hastig durch den penetranten Acrylgestank, obwohl sie sich gar nicht beeilen müßten.Keine Bahnpolizei, kein Wachschutz, der sie in die Flucht schlagen könnte.Aber die Geschwindigkeit, Hast, Eile steckt ihnen im Blut.Sprayer können nicht langsam arbeiten.Sie brauchen die Atemlosigkeit, mit der sie wirre Assoziationsgemälde an die nackte Betonwand werfen.Selbst wenn sie Kunst machen.

Die "Graffitiguerilla" gehört zu einer etwa fünfzehn Künstler umfassenden Ausstellung, mit der im Club "Maria am Ostbahnhof" von heute an das zweite "Mastermix"-Happening über die Bühne geht.Das Festival ist ein Versuch, Pop-Art und Club-Kultur zusammenzubringen.Die Multimedia-Show versammelt Projekte aus Malerei, Video, Performance und Literatur und steht unter dem lockeren Motto "Friends & Neighbours"."Wir haben Künstler eingeladen, die wir persönlich kennen und schätzen", erläutern die Initiatoren Ernst Altmann und Johannes Peschken ihr Konzept.Darunter sind bekannte Subkulturgrößen wie Peter Mesek, Ewan Cameron, Stefan Hönerloh, JoHe und Atak.Das Leitmotiv der Ausstellung könnte ebensogut Freaks & Monster lauten, da Altmann und Peschken vor allem ein Kabinett abstruser Seelenverknotungen und wahnsinniger Stadtpsychosen zusammengesucht haben.

Insbesondere Ernst Altmann ist nicht wenig stolz, ein Bild des einst legendären, heute aber vergessenen Malers Friedrich Schröder-Sonnenstern zeigen zu können.Seine auf Karton mit Buntstiften gemalten surrealistischen Allegorien sind von bizarren Wesen bevölkert, die Einblicke in die verdrängten Ängste und Wünsche des Unterbewußtseins gewähren.Auf die 68er-Generation machten diese symbolischen Verschlüsselungen großen Eindruck, und der notorische Querulant wurde auf dem Kunstmarkt als Star gefeiert.Doch nachdem er begonnen hatte, Kopien seiner grellen, naiven Zeichnungen mit seinem Namen zu signieren und seine Glaubwürdigkeit zu untergraben, verschwand er in der Versenkung.Zu Unrecht, wie Altmann meint, obwohl er sicherheitshalber hinzufügt: "Wir zeigen ein echtes Bild aus Privatbesitz, das zu alt ist, um gefälscht zu sein."

Die Traumbilder des Australiers Ewan Cameron wirken, als stünden sie in direkter Nachfolge jenes 1981 verstorbenen Berliner Unikums.Auch sie entfalten ein irritierendes Panoptikum kruder Gestalten, in denen sich die geheimen Sehnsüchte des Künstlers verkörpern.Die Figuren-Ensembles aus weichgekautem Kaugummi von Peter Mesek, die er "Multiple Psychose" nennt, wagen es ebenfalls, sexuelle, fäkale Fantasien ins Groteske zu steigern.Solche zähnefletschenden Monsterwelten, denen die Attacke auf bürgerliche Ordnungsprinzipien deutlich anzumerken ist, verstehen sich zugleich als hedonistische Selbsterfahrung.Man kann sie nicht anschauen, ohne auch die Lust zu bemerken, den geheimen Obsessionen eine Gestalt, ein Gesicht - und sei es eine Fratze - zu verleihen.

Die Maria ist allerdings keine Galerie, sondern ein Nachtleben-Institut.So wird die Ausstellung von einem nicht minder psycho(patho)logischen Rahmenprogramm begleitet.Neben einer Lesung des Pop-Theorie-Papstes Diedrich Diederichsen ("Der lange Weg nach Mitte") werden diverse DJs und eine Assoziation aus "Madonna Hip Hop Massaker" und "Betty Ford Clinic" für Tanzbarkeit sorgen.Denn im Strudel wummernder Bässe und pulsierender Beats finden die Neigungen der Nachtschwärmer am besten zu ihren Bildern.

"Mastermix Vol.2 - Friends & Neighbours" in der Maria am Ostbahnhof.Heute, 19 Uhr Vernissage, 23 Uhr Filmpremiere von Hermaphrodite, 0 Uhr Madonna at Betty Ford Clinic, Al Chem + Sir Henry; 22.5., 22 Uhr Fucking Fusion Beatz; 26.5.Lesung: Herbert Fritsch "Sprachlöchersterne", Flittchenbar; 27.5.Behrendt, Hausmeister, Joe Tabu + Gäste; 28.5., 20 Uhr Lesung: Diedrich Diederichsen "Der lange Weg nach Mitte", 22 Uhr Out Detroit

KAI MÜLLER

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