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Kultur: Mord am „Boxi“

SCHREIBWAREN Steffen Richter über neue literarische Bolzplätze Nein, es gibt keinen Grund, nach den tollen Tagen von Leipzig in eine Post-Buchmesse-Depression zu verfallen. Gegen eventuelle Entzugserscheinungen hilft in dieser Woche ein feiner Cocktail aus internationaler Prominenz und jungen einheimischen Talenten.

SCHREIBWAREN

Steffen Richter über

neue literarische Bolzplätze

Nein, es gibt keinen Grund, nach den tollen Tagen von Leipzig in eine Post-Buchmesse-Depression zu verfallen. Gegen eventuelle Entzugserscheinungen hilft in dieser Woche ein feiner Cocktail aus internationaler Prominenz und jungen einheimischen Talenten. Einzig die Terminlage treibt zur Verzweiflung.

Schon heute würde man sich am liebsten dreiteilen. Am Instituto Cervantes ist nämlich Juan Marsé zu Gast (19 Uhr 30). Seit den sechziger Jahren schreibt er an der literarischen Chronik seiner Heimatstadt Barcelona. Wer einmal Marsés poetische Bilder vor Augen hatte, kommt von ihnen schwerlich wieder los. In „Die obskure Liebe der Montserrat Claramunt“ (dtv) wirbelt die Unternehmertochter Montserrat das soziale Gefüge gründlich durcheinander. Nur dass ihre Zuneigung zu einem ehemaligen Gefängnisinsassen von der besseren Gesellschaft nicht akzeptiert wird. Das Drama spielt sich wie so oft bei Marsé vor dem Hintergrund der Franco-Diktatur ab. Als Gesprächspartner zum Thema „Das Gedächtnis der Verlierer“ steht ihm dabei Uwe Timm zur Seite. Der ist spätestens seit seinem Roman „Am Beispiel meines Bruders“ ein ausgewiesener Spezialist für die Verquickungen von Zeit- und Familiengeschichte.

Ein anderer Großmeister wird heute um 20 Uhr im Literaturhaus erwartet. Dort liest der Australier Les Murray aus seinem Versepos (!) „Fredy Neptun“ (Ammann). Fredy, der eigentlich Friedrich Boettcher heißt, ist Sohn deutscher Einwanderer. Mit 15 Jahren heuert er auf einem Handelsschiff an, gerät zwischen die Fronten des Ersten Weltkriegs und wird Zeuge des türkischen Genozids an den Armeniern. Dass der Mann nicht immer frohgemut in die Welt schaut, versteht sich von selbst.

Sehr empfindlich auf äußere Katastrophen reagiert hingegen Claire, die Protagonistin aus Julia Schochs erstem Roman „Verabredungen mit Mattok“ (Piper). Claire ist Taschentrickkünstlerin in einem Kurort an der Ostsee, als ein Öltanker auseinander bricht. Was sie umtreibt, sind die Routinen des Lebens, die jede Havarie übertünchen - obwohl doch offensichtlich alles aus dem Ruder läuft. Julia Schoch kommt heute ins Brecht-Haus (20 Uhr).

Fast ein Heimspiel hat Torsten Schulz , wenn er am 1.3. ebenfalls im Brecht-Haus zur Lesung aus seinem Romandebüt „Boxhagener Platz“ (Ullstein) antritt (20 Uhr). Schulz, der bisher vor allem als Filmautor (etwa für Andreas Dresens „Raus aus der Haut“) bekannt war, erzählt von 1968 im Osten. Damals, als der Boxhagener Platz in Friedrichshain noch nicht der Szene-„Boxi“ war, sondern nur ein Bolzplatz. Schon damals betrank man sich zwanglos im „Feuermelder“. Dann aber geschieht aber ein Mord am Boxhagener Platz.

Zum Schluss sei am 2.3. der Weg an den Wannsee empfohlen, wenn die Autorenwerkstatt Prosa zur Finissage ihrer acht aktuellen Stipendiaten ins LCB (20 Uhr) lädt. Was es dort zu hören gibt, wird in einigen Fällen bald als Buch über den Ladentisch gehen. Spätestens im nächsten Frühjahr zur Leipziger Messe.

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