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Kultur: Mord in der Kirche

Opernentdeckung auf CD: Placido Domingo ist der Held in Ruggero Leoncavallos „I Medici“

Es sollte sein ganz großer Wurf werden. Die Antwort Italiens auf den „Ring des Nibelungen“. 1876 fasste Ruggero Leoncavallo, der in Neapel Komposition und in Bologna auch noch Literatur und Philosophie studiert hatte, den Plan für ein Opern-Triptychon mit dem Titel „Crepusculum“, zu Deutsch: „Dämmerung“. Aber nicht um Götter wie beim deutschen Musikdramatiker Richard Wagner sollte es gehen, sondern um Persönlichkeiten aus dem goldenen Zeitalter der Renaissance. Als erster Teil war „I Medici“ vorgesehen, „Gerolamo Savonarola“ und „Cesare Borgia“ sollten folgen. In seinem gerade erst zur Nation vereinten Vaterland wollte Leoncavallo die wahren Werte der italienischen Vergangenheit beschwören.

Bevor er aber den ersten Teil zur Uraufführung bringen konnte, kam der Weltruhm: Sein „Bajazzo“ hob ihn 1892 auf eine Stufe mit Pietro Mascagni („Cavalleria rusticana“) und Giacomo Puccini, dem gerade der Durchbruch mit „Manon Lescaut“ geglückt war. In dieser Phase der Erfolgseuphorie kam am 9. November 1893 in Mailand „I Medici“ heraus. Doch dem dramaturgisch ungeschickt konstruierten Werk war nur ein Achtungserfolg beschieden. Obwohl es durchaus Bewunderer des Stückes gab – beispielsweise den deutschen Kaiser Wilhelm II. –, nahm Leoncavallo die Arbeit an seiner Trilogie nicht wieder auf.

Daher ist die CD-Ersteinspielung der Oper, die nun mit Placido Domingo in der Hauptrolle bei der Deutschen Grammophon herauskommt, eine echte Ausgrabung – und eine Entdeckung. 1478 wird in Florenz Giuliano de’ Medici beim Besuch eines Gottesdienstes getötet, im Auftrag der mit den Medici verfeindeten Familie Pazzi. Für emotionale Würze sorgt zudem eine amouröse Dreiecksgeschichte, denn sowohl die Sopranistin als auch die Mezzosopranistin sind in den bildschönen Spross der Medici-Dynastie verliebt.

Musikalisch ist der Vierakter ein Hybrid aus Grand Opéra, melodramma und Wagnerismo. Dass Leoncavallo ein Verehrer des Bayreuther Musikdramatikers war, hört man in zwei Vorspielen, die dem Walkürenritt respektive der Eingangsszene der „Walküre“ bis an die Grenze des Plagiats nachgebildet sind.

Aber auch bei den Franzosen hat sich der Komponist, der in den 1880er Jahren wiederholt in Paris lebte, so manches abgehorcht. Dennoch verleugnet er seine Herkunft nie, schwenkt bald wieder ins authentisch italienische Idiom zurück, findet blühende Melodien für seine Protagonisten, lässt die Geigen im Orchester ausgiebig schmachten. Die vielen Dialogszenen sind dagegen nach dem Vorbild von Verdis „Simon-Boccanegra“ gestaltet, düster und pathetisch. Ein wüster Stilmix also, aber mit meisterlichem Tonsetzerhandwerk klangfarbenprächtig in Szene gesetzt.

Dirigent Alberto Veronesi nimmt sich der Partitur mit viel Liebe an und vermag das Orchester des Maggio Musicale Fiorentino zu angemessen puccinesk-prachtvollem Spiel animieren. Daniela Dessi und Renata Lamanda können stimmlich zwar nicht mehr mit dem Liebreiz aufwarten, den ihre Partien als verliebte Jungfrauen eigentlich von ihnen verlangen, doch sie werfen dafür viel Bühnenerfahrung in die Waagschale. Placido Domingo dagegen vermag auch mit (über-) reifem Tenor immer noch als begehrenswerter Beau zu überzeugen. Carlos Alvarez schließlich gibt ganz weltmännisch dessen älteren Bruder Lorenzo de’ Medici. Am Ende hält er im Angesicht des sterbenden Giuliano eine flammende Rede an das entsetzte Volk – und erobert seiner Familie damit die Vorherrschaft über Florenz zurück. Frederik Hanssen

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