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Kultur: Mordhof

Eine Erfolgsgeschichte: der Heimatkrimi „Tannöd“

Als der Hamburger Kleinverlag Edition Nautilus im Januar 2006 Andrea Maria Schenkels Krimidebüt „Tannöd“ veröffentlichte, tat er das in einer für den Verlag üblich überschaubaren Auflage von 3500 Exemplaren. „Tannöd“ entwickelte sich jedoch im Verlauf des Jahres zu einem Dauerbrenner, landete auf Spitzenplätzen der „KrimiWelt“-Bestenliste und verlangte nach weiteren Auflagen. Damit nicht genug: Das schmale, 125 Seiten fassende Büchlein ist, ein Jahr nach Veröffentlichung, bislang auch die größte Überraschung des Literaturjahres 2007, erklomm Ende Januar die Bestsellerlisten und verdrängte diese Woche gar Daniel Kehlmanns „Die Vermessung der Welt“ von der Spitzenposition.

Das liegt zum einen an den Stärken von „Tannöd“ selbst. Schenkel, 44-jährige Hausfrau und dreifache Mutter aus Regensburg, hat sich einen bis heute unaufgeklärten Mordfall als Vorlage genommen, der sich in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts im tiefsten und schwärzesten Bayern zutrug. Damals wurden sechs Bewohner eines Einödhofs von einem oder mehreren Unbekannten brutal mit einer Spitzhacke erschlagen.

Schenkel verlegt diese Mordgeschichte in die fünfziger Jahre, in denen die Menschen noch ganz unter dem Eindruck der Ereignisse des Zweiten Weltkriegs stehen, lässt in kurzen Kapiteln die Bewohner des ländlichen Fleckens irgendwo im Bayrischen Wald genauso wie die Opfer der Bluttat zu Wort kommen und hat am Ende auch eine Lösung des Falles parat. Die einen erzählen einem fiktiven Erzähler ihre Einschätzung der Lage, den Eindruck, den sie von der Familie des „Mordhofes“ bekommen haben, und zwar so, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Die anderen, die Opfer sowie der Mörder, berichten aus der Innenperspektive über den Verlauf ihres eher unglücklichen Lebens. Schenkel gelingt es geschickt, Spannung aufzubauen und nüchtern und wie nebenher die atmosphärischen Spannungen innerhalb der dörflichen Gemeinschaft darzustellen. „Tannöd“ ist so näher an den Büchern eines Hans Lebert als an Heimatkrimis vom Schlage eines Jacques Berndorf („Eifel-Kreuz“) oder Volker Klüpfel/ Michael Kobr („Seegrund“).

Dass „Tannöd“ aber über ein Jahr nach Veröffentlichung zu einem mehr als veritablen Bestseller wurde, liegt zudem an anderen, viel wichtigeren Faktoren. So war es einmal mehr Elke Heidenreich, die für den letzten Schub in die Charts sorgte, als sie „Tannöd“ in ihrer Januar-Sendung in die Höhe hielt. Der „Spiegel“ folgte brav mit einem Autorinnenporträt, schließlich tat die Verleihung des Deutschen Krimipreises 2007 ihr Übriges. Ein Preis, ein Magazin mit Millionen- Auflage, Elke Heidenreich – so geht das Drehbuch für einen Bestseller, den der NDR als Hörspiel produzieren will und der demnächst auch verfilmt wird. Das Schöne ist, dass dieser Renner mal nicht bei Random House oder Hanser-Fischer-Piper erscheint, sondern bei der Edition Nautilus. Dieser Verlag wurde vor dreißig Jahren gegründet, aus einem linken Milieu heraus, und veröffentlicht so Unterschiedliches wie die Bücher von Subcommandante Marcos, Inge Viett oder Franz Dobler, Romane von Ingvar Ambjörnsen, die Werkausgabe von Franz Jung oder eben Krimis.

Von „Tannöd“ geht nächste Woche die zehnte Auflage in die Buchhandlungen, dann sind 100 000 Exemplare gedruckt, und die Taschenbuchrechte hat Nautilus ebenfalls schon gewinnbringend verkauft, an Bertelsmann. Andrea Maria Schenkel sitzt derweil an ihrem dritten Kriminalroman – ihr zweiter erscheint im kommenden Herbst.

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