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Mozart im Radialsystem: Agenten singen keine Arien

Im Dunkeln entkleiden sich die Sänger und vernaschen einander: Eine Mozart-Mogelei im Berliner Radialsystem.

Na toll. Die Transformation von Mozart in die neue Welt fängt damit an, dass sie nicht anfängt – weil die neue Welt nicht funktioniert. Technische Probleme, Einlassverzögerung um ein halbe Stunde. Als es dann endlich in die Halle des Radialsystems geht, flimmern auf der Bühne unzählige Monitore in einem überdimensionierten Billy-Regal. „Monitore. Schon wieder Monitore“, seufzt der Sitznachbar, der offenbar über viel Regietheatererfahrung verfügt.

Doch Pessimismus täte „Intrigo internazionale (KV 492)“ von Regisseur Johannes Müller unrecht. Denn erstens werden die Monitore nur ein einziges Mal zu Elementen der Handlung – und tragen damit zur dramaturgisch schönsten Szene dieser Berlin-Premiere bei – und zweitens wird man sich am Ende wünschen, dass Müller auf mehr Regie gesetzt hätte. Oder zumindest auf eine stringentere.

Der Regisseur, der in seiner letzten Produktion „Cheap Blood (199)“ Bach und Stephen King konfrontativ miteinander verschmolzen hatte, vertraut auch dieses Mal auf die Kraft des Gegensätzlichen: Die Hinterhältigkeiten, Verwirrspiele und Liebesgelüste aus Mozarts Opus 492, also der Oper „Die Hochzeit des Figaro“, sollen in eine moderne Agentengeschichte verpflanzt und dabei so überhöht werden, dass sich am Ende jeder als falscher Fuffziger entpuppt. Wie im echten Geheimdienstleben eben.

Dass Müller hierbei die Ästhetik alter James-Bond-Filme munter mit dem unbedarften Exhibitionismus der Generation Facebook vermischt, stört nur am Rande. Als Zuschauer muss man sich das meiste sowieso selbst zurechtsuchen. Welcher der namenlosen Agenten entspricht nun dem Grafen Almaviva? Welche der schönen Spioninnen mimt Susanna, welche die Gräfin? Egal! Hier betrügt sowieso jeder jeden. Hinzu kommt, dass „Intrigo internazionale“ sich selbst beim Wort nimmt: Gesprochen und gesungen wird auf Italienisch, Deutsch, Englisch und Isländisch.

Mozarts Musik soll als akustischer Wegweiser dienen in diesem Handlungsdickicht, das den gesamten Abend über keine Form findet, aber wiederum zu offenkundig nach einer sucht, um am Ende als konsequent anarchisch durchgehen zu können.

Das Hineinspringen in Mozarts Affektwelten gelingt nur selten. So am Beginn, als das Instrumentalquartett aus Klavier, Hammond-Orgel, Oboe und Kontrabass die schelmischen Wechselnotenspiele der Opern-Ouvertüre in kleine Bruchstücke zerhackt und damit die fehlende Stringenz der eigenen Produktion auf die Schippe nimmt. Und am Ende, als die bestechend zarte Herdís Anna Jónasdóttir im Billy-Regal liegt und Susannas Arie „Deh, vieni, non tardar, oh gioia bella“ singt, während man dank Nachtsichtkameras auf den Monitoren live mitverfolgt, wie sich die übrigen Falschspieler im Dunkeln der Hinterbühne entkleiden und einander vernaschen.

Mozart und die unschöne neue Welt. Für einen kurzen Moment passt das. Ansonsten wirkt Müllers Durcheinanderwürfeln von Figaro-Zitaten, Agenten-Film-Jazz, koreanischem Pansori-Gesang und Sprechtheater leider zu oft planlos. Für Aufheiterung sorgen da Jill Emerson und Hauke Heumann, die als Amateursänger unter den Darstellern ihren Agentenstatus und ihre Gesangsdefizite mit viel Selbstironie fabelhaft überhöhen.

Noch einmal am 8. Januar, 20 Uhr.

Daniel Wixforth

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