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Kultur: Mozart ist tot!

Das wirklich Allerletzte zum Jubeljahr: eine Entdeckung im „Requiem“

Das Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart und die Geschichte seiner Entstehung regt die Fantasie der Musikfreunde seit über 200 Jahren an. Nun machte der in Berlin lebende Geiger Oliviero Hassan-Saavedra eine bisher überhörte Botschaft zwischen den Tönen aufmerksam. Wer am Beginn der Schlussfuge (ab Takt 31) genau aufpasst, kann aus dem Stimmgeflecht des lateinischen Texts der Communio „Cum Sanctis tuis in æternum“ die deutschen Worte „Mozart ist tot“ heraushören. Ein Phänomen, das der Autor als „Süßmayr’sches Vokaldiskretiv“ bezeichnet. Hat Franz Xaver Süßmayr (1766–1803), der nach Mozarts Tod das Requiem vollendete, hier eine Huldigung an den verehrten Lehrer einkomponiert? Oder war die erstaunliche Botschaft zwischen den Zeilen gar als „Copyright“-Hinweis gedacht?

Schließlich wollte der Auftraggeber des Requiems, Reichsgraf Franz Josef von Walsegg zu Stuppach, das Stück als sein eigenes Opus ausgeben. Walseggs Leibdiener war der nämliche dunkel verhüllte „graue Unbekannte“, den der sterbenskranke Mozart als Vorboten seines eigenen Todes ansah, als jener im Juli 1791 das Requiem anonym bestellte und die Hälfte der fünfzig dringend benötigten Golddukaten anzahlte. Alle späteren Erkenntnisse haben dieses Mysterium nicht aufhellen können und den Umständen der Bestellung bis heute ihre Merkwürdigkeit belassen. „Vor mir liegt mein Todesgesang, ich darf ihn nicht unbeendet lassen“, schrieb Mozart ahnungsvoll an seinen Textdichter Lorenzo Da Ponte.

Die Sorge war berechtigt, denn als Mozart am 5. Dezember 1791 starb, war das Requiem unvollendet geblieben. Skizzen, Fragmente und Erinnerungen an zahlreiche Gespräche mit Mozart halfen Süßmayr bei der postumen Vollendung des Werkes. Da wäre es aus Sicht der Komponisten sehr passend gewesen, dem eitlen Dilettanten so den kleinen Betrug zu verderben. Hassan-Saavedras Entdeckung zeigt Süßmayr nun vielleicht gar als „vollendeten Vollender“, der uns kindlich-erfreut plötzlich die an prominenter Stelle erscheinenden Worte „Mozart ist tot!“ hören lässt.

Graf Walsegg war ein ebenso großer Musikliebhaber wie lausiger Komponist, der gern Werke fremder Komponisten als eigene aufführen ließ, so auch Mozarts Requiem am 14. Dezember 1793 auf Schloss Stuppach am Semmering und am 14. Februar 1794 in der Neuklosterkirche zu Wien als Totenmesse für seine 20-jährig verstorbene Frau. Wie ertappt hätte der Graf sich wohl gefühlt, wenn er gehört hätte, was wir nun hören?

Das „Süßmayr’sche Vokaldiskretiv“ ist – wenngleich ganz anderer Art – in der Qualität seiner Verborgenheit durchaus vergleichbar mit derjenigen der Zahlensymbolik in Werken Bachs wie beispielsweise in der h-moll-Messe oder in dem Rätselkanon, den der Komponist auf dem Leipziger Haußmann-Porträt in der Hand hält.

Ist dieses nun so deutlich hörbare Geheimnis tatsächlich 200 Jahre unentdeckt und unveröffentlicht geblieben? Hört der 1978 in Gießen geborene Orchestermusiker Oliviero Hassan-Saavedra, Sohn einer chilenischen Mutter und eines afghanischen Vaters, instinktiv anders als andere? Ist es der Sprachhintergrund in Verbindung mit seiner Ausbildung zum Geiger in Leipzig oder ein bloßer Zufall in der bewegten Geschichte kleinerer und größerer Entdeckungen? Stehen wir nun vor der Lüftung weiterer „Werkstattgeheimnisse“, die Süßmayr mit ähnlichen Offenbarungen aus dem Schatten seines Lehrers Mozart herausheben? Diese Fragen bleiben spannend für die Forscher – ganz unabhängig davon, ob wir uns gerade in einem Mozart-Jubeljahr befinden oder nicht.

Stefan Graf Finck von Finckenstein

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