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Mudhoney 2014, links Gitarrist Steve Turner, der Mann mit den großen Händen und dem roten Shirt ist Mark Arm.

© Stephen Dewall/promo

Mudhoney in Berlin: Ist das jetzt Punkrock?

Kompromisslos, böse und immer noch gut: Die amerikanische Ur-Grunge-Band Mudhoney spielte im Berghain ein fulminantes Konzert.

Auf dem Weg ins Berghain sind sie kaum zu übersehen, die Plakate, die das dieser Tage erscheinende neue Album von Faith No More ankündigen und bewerben, „Sol Invictus“. Das passt gut, denn Faith No More sind wie die an diesem Dienstagabend im Berghain auftretenden Mudhoney in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren groß und berühmt geworden. Eher größer und berühmter, weil sie irgendwann einen massenkompatibleren Rock als Mudhoney spielten, keinen Urgrunge, sondern mehr die Blaupause für den später aufkommenden New Metal. Es geht also mal wieder zurück in die Vergangenheit, direkt rein in die Abteilung: alte Helden revisited, alte Helden machen immer weiter, alte Helden sind immer noch gut.

„Wie früher“ ist dann auch das Stichwort, als vor dem Berghain zwei alte Bekannte mit Sektflasche und Pappbechern herumstehen und schon mal „vorglühen“. Und beim Reingehen der geschätzte Popkritiker von der „Berliner Zeitung“ wieder auf dem Weg nach draußen ist, um kurz mal nach nebenan in die Berghain-Kantine zu gehen und die dort aufspielende kanadische Singer/Songwriterin Lowell anzuschauen. „Musik für junge Leute, die neue Grimes“, fachsimpelt er. Und, bei der Frage nach der Mudhoney-Vorband White Hills, wie die denn seien: „1990, Das Damen, bestimmt Deine Musik, und Andreas, Heiko und Guido sind auch da, vorne rechts, da stehen wir alle, bis später!“ Der Auftritt von White Hills erinnert allerdings mehr an den Zeitraum von 1970 bis 1990. Die Band aus New York City spielt keine Das-Damen-SST-Musik, sondern einen sehr sämigen, waberenden Psycehdelic-und Spacerock, mehr Monster-Magnet-St.Vitus-Musik, und Frontfrau Ego Sensation erinnert eher an die späte Jennifer Herema von Royal Trux als an die junge Kim Gordon.

Mudhoney lieferten die erste Grunge-Hymne: "Touch Me I'm Sick"

Ja, Namen, Bandnamen überhaupt. Und na klar, alles wie früher, hier eine Melvins-T-Shirt-Trägerin, dort ein Sick-of-it-All-Anhänger. Die 2005 gegründeten White Hills sind zwar relativ jung, aber das Berghain mit seinem düsteren Abriss-Ambiente bildet den idealen Rahmen für den White-Hills-Auftritt wie für den der Ur-Grunge-Band Mudhoney. Als die die Bühne besteigt, ist man allerdings erst einmal überrascht darüber, wie gut die Herren aussehen. Die Haare sind natürlich ab und kurz, aber bei allen bis auf Drummer Dan Peters noch voll. Frontmann Mark Arm trägt ein rotes T-Shirt, Jeans und grüne Vans, der gelockte Gitarrist Steve Turner Brille, Streifenhemd, Jeans und beige Vans, alles schön zurückgenommen unspektakulär.

Die Mudhoney des Jahres 2015 sehen mehr aus wie eine Intellektuellen-Postrock-Band der späten neunziger Jahre, mehr nach Chicago als nach Seattle. Der Rock aber, den Mudhoney dann spielen, ist davon weit entfernt, sehr nach vorn, sogar melodiös zu Beginn, und erst beim vierten Stück (könnte „Mudride“ gewesen sein), kommen die Ahnungen an Grunge auf, an die Eigenschaften dieses Sounds, an die gemächlich donnernden Gitarren, an das Bohrende, MC-5-hafte, mitunter auch Unzugängliche.

Ist das jetzt Punkrock?

Im Verlauf des Konzerts weiß man dann auch wieder, warum Mudhoney, die seinerzeit vor Nirvana auf den Plan traten und mit „Touch Me I´m Sick“ die erste Grunge-Hymne hatten, nur bescheiden berühmt wurden, gerade im Vergleich zu den Kollegen aus ihrer Heimat: Sie sind einfach zu kompromisslos, zu sehr Punk. Ex negativo beschrieben, aber natürlich bewundernd gemeint: Ihnen fehlte das Pathos von Pearl Jam und anderen, die Hooks und das Zugängliche von Nirvana, (zudem hatte Arm nie das Charisma eines Kurt Cobain), aber ihnen fehlte andererseits das komplett Verstrahlte, die Lust auf Experimentelles, das, was die Melvins immer ausgemacht und zu größeren Legenden hat werden lassen.

Mark Arm, der stimmlich nichts verloren hat und immer noch so schön metallen-blechern (nicht-) singt, und seine Mannen mischen im Berghain jüngere Songs mit alten, ihr Auftritt ist ein dynamisch-energischer: komplett unpeinlich, emphatisch, pragmatisch, gut. Und die Großhits spielen Mudhoney zudem: erst „Sweet Young Thing Ain’t Sweet No More“, dann „Touch Me I´m Sick“, später noch „Chain That Door“, und das überwiegend männliche Publikum gerät spätestens ab diesem Zeitpunkt so richtig aus dem Häuschen, die vielen Jahre hin oder her.

Gegen Ende erinnert Arm, da hat er seine Gitarre weggelegt, mehr und mehr an den Sänger und Animateur einer Punkband. Er singt regelrecht die ersten Reihen an, bückt sich herunter, windet sich, ist beweglich wie eh und je. Als bei der zweiten Zugabe Leute aus dem Publikum auf die Bühne kommen und Stagediving machen, ist endgültig alles gut – und wie früher: Manchmal bleibt die Zeit halt doch irgendwie stehen.  

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