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Kultur: Müller besiegt Holland

Die Fußball-Doku „Gib mich die Kirsche“

Ach, sieh an: zur Abwechslung ein Fußballfilm. Doch die Regisseure Oliver Gieth und Peter Hüls bieten Gelegenheit, sich tief in die Vergangenheit des deutschen Fußballs zu versenken. Sie haben Bilder aus den Anfangsjahren der Bundesliga aufgetrieben – aus der grauen alten Zeit also, als die Welt noch schwarz-weiß und der Fußball noch aus Leder war. Bis Mitte der siebziger Jahre reicht ihr Bilderreigen, als das Fernsehen längst auf kunterbunt geschaltet hatte.

Mit dabei: Trainergebrüll, Fangelaber, Funktionärsgewäsch. Zappelnde Netze, hochgerissene Arme, ekstatische Gesichter. Mit dabei immer wieder: die Lichtgestalt Franz B. in Zeitlupe durch die Gegner tänzelnd, Spielzüge ersinnend, von schweißloser Anmut und mit wehendem Haar über das Feld preschend wie ein weißes Pferd durch die Camargue. Leider aber auch: Franz B. beim Singen – „Du bist das Glück“ hieß der unglückliche Versuch. Staunend begleiten wir Uwe Seeler als Vertreter für Sportartikel. Wir bewundern Sepp Maier in der Gummibärchen-Werbung. Wir lauschen, wie Gerd Müller mit den kirchentagsuntauglichen Worten beschrieben wird: „stark, männlich, hart, brutal“. Und dann gibt es da noch diesen Satz, den der junge Franz B. von sich gegeben hat: „Mit Fußball will ich später nichts zu tun haben, und ein Trainerberuf kommt für mich nicht in Frage.“ Ja ja, der gute alte Firlefranz.

Die Höhepunkte jener Tage sind nicht vergessen: das Wembley-Tor, das Sparwasser-Tor, das Müller-besiegt-HollandTor. Bilder vom 1970er Jahrhundertspiel Deutschland gegen Italien. Bilder vom 1973er Pokalfinale Köln gegen Gladbach, als sich Günter Netzer mit den Worten „Ich spiel denn jetzt!“ selbst einwechselte. Bilder von Walter Ulbricht, wie er fistelnd den DDR-Sport feiert.

Das alles kommt ohne zusätzlichen Kommentar der Regisseure aus. Sie haben mehr als tausend Filme und Fernsehberichte gesichtet und daraus streng ausgewählt. Doch der Versuch, ihr pralles, überbordendes, hochwitziges Sammelsurium in kleine Blöcke einzuteilen, ist nur leidlich gelungen. Die Themen Frauenfußball, Amateurfußball, DDR-Fußball werden gestreift. Der Bundesliga-Skandal von 1971 wird angerissen. Die Verbindung von Fußball und Werbung wird berührt. Wie überhaupt alles wie am Check-in-Schalter kurz und bündig abgefertigt wird. Das hat mit Fußballgeschichtsschreibung nicht viel zu tun. Und doch reißt dieses verguidoknoppisierte Material ein bemerkenswertes historisches Fenster auf: Wie viel sich doch im Fußball geändert hat – und wie doch alles irgendwie gleich geblieben ist.

Bleibt die Frage nach dem merkwürdigen Titel. Angeblich stammt die Aufforderung „Gib mich die Kirsche!“ von Lothar Emmerich, der so einmal den Ball verlangt haben soll. Wir hätten auf dem Bolzplatz vermutlich „Her mit der Pille!“ gerufen. Was als Filmtitel nur unwesentlich besser geeignet ist.

Nur im Cinemaxx Potsdamer Platz

Julian Hanich

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