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Kultur: Müller in Schwarz-Weiß

Warum das alles? Die Helden sind müde, abgeschlafft, gleichgültig.

Warum das alles? Die Helden sind müde, abgeschlafft, gleichgültig.Aber nicht verzweifelt.Denn auch zum Zorn, zur Leidenschaft, zum Aufbegehren fehlt ihnen die Kraft.Bei der letzten Premiere des "alten" Berliner Ensembles (BE) vor der Übernahme des Theaters durch Claus Peymann findet eine Überlagerung statt.Die Interpretation von Heiner Müllers dramatischem Text "Philoktet" (geschrieben zwischen 1958 und 1964, uraufgeführt in München 1968) zeigt in ernüchternder Weise an, daß eine Epoche zu Ende geht.Müllers Stück ist aus seinen Höhen und Tiefen gerissen und respektvoll beruhigt.Es findet eine artige Übermittlung des poetischen Textes statt, mit einigen denkmalhaften gestischen Fügungen, in strengem Schwarz-Weiß.

Philoktet hält den Krieg der Griechen gegen die Trojaner auf.Odysseus hat sich vor zehn Jahren des Helden auf der unbewohnten Insel Lemnos entledigt, weil dieser, verwundet, stinkend, schreiend, den Unterhaltungswert kriegerischer Abenteuer unangemessen beeinträchtigte.Nun braucht man Philoktet wieder, denn einzig sein Bogen versendet unfehlbare Pfeile, und seine Mannschaft hält sich ohne ihn aus dem Schlachten heraus.So will Odysseus den Verwundeten von der Insel holen.Neoptolemos, der Sohn des Achill, dient ihm als Lockvogel, weil bisher frei von diplomatischen Ränken.Das Ergebnis: Neoptolemos ersticht den wehrlosen Inselbewohner von hinten, seine Unschuld, seine Reinheit sind dahin.Odysseus aber hat den Bogen.Der Krieg kommt in die finale Phase.

Stephan Suschke, der Regisseur, hält sich gegenüber der Ungeheuerlichkeit dieser Vorgänge zurück.Er bringt sie in eine fatale Normalität hinüber, er registriert, er führt gleichsam achselzuckend vor, was ist.Was Heiner Müller in poetischen Bildern blockhaft baute, Geschlossenheit, Festigkeit der gedanklichen Fügungen immer wieder aufreißend, zum Tanzen bringend, hat auf der Probebühne des Berliner Ensembles etwas Trockenes, Staubiges, Verlebtes.Eine flache, weite Mulde mit rechts und links fast bis zur Decke gezogenen weißen Tüchern (Bühne / Kostüme: Tanja Hofmann) zwingt die Spieler, sich zeichenhaft zu bewegen, selbst zum Zeichen zu werden in einer hoffnungslos leeren Welt.Sie agieren zwischen den Zuschauern, und sie zeigen, daß alle Energien verbraucht sind.Hermann Beyer als Odysseus ist besonders von dieser Nüchternheit, dieser erschöpften Nervosität gepackt - da wird ein Auftrag ausgeführt, wie es eben gerade geht.Götz Schulte als Neoptolemos ist der verwirrt Staunende, Verharrende, Herumstehende, der sich dumpf ins nicht Begriffene fügt.Axel Werner in der Titelrolle unternimmt als einziger den Versuch, selbständig mit der Figur umzugehen.Er zeigt, berührend, den Verwundeten als einen überlegenen Denker, einen Analytiker fast, der sich mit Klugheit in sein Schicksal fügt, hockend, liegend, in Leid erstarrt zum Sinnbild eines mißbrauchten, betrogenen, geopferten Menschen wird.Aber auch diese Deutung verdeckt die Abgründe der Figur, die Brutalität der Vorgänge, den Haß, die Wehleidigkeit, die intellektuelle Perfidie.

Vielleicht wollten Suschke und die Darsteller dem im Stück gestalteten unaufhaltsamen diplomatischen Sadismus gerade in diesen Tagen eines neuen Krieges ohne Aufregung begegnen, ihre Betroffenheit verstecken, verkapseln.Der Bühne bekommt das nicht gut, gerade in Erinnerung an eine alle Widersprüche aufreißende, schauspielerisch glanzvolle "Philoktet"-Aufführung im Dezember 1977 im Deutschen Theater.Mit der BE-Inszenierung 22 Jahre später, ist ein Ende erreicht: Heiner Müller, ein Klassiker schon, entlassen in die Ruhe besinnlichen Nachdenkens.

Weitere Aufführungen am 5., 8., 10., 15., 22., 23.und 25.April, Probebühne, jeweils 20 Uhr.

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