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Filmfest München

© Filmfest München

Münchner Filmfest: Bloß weg hier

Aufbruch und Heimkehr: Zum Abschluss des 25. Münchner Filmfests. Als Höhepunkt erwies sich die Passions- und Auferstehungsgeschichte von Werrner Herzog.

Grün. Überall grün. Wohin das Auge blickt. Es gibt kein Entkommen aus dieser feuchten Hölle. Unbarmherzig zirpt und zwitschert, knarzt und dampft der Dschungel, ohne sich einen Deut um die ausgemergelten Figuren zu scheren, die sich mit ihren Macheten durchs Dickicht kämpfen. Laos, 1965: Zu Beginn des Vietnamkriegs wird der deutsch-amerikanische Pilot Dieter Dengler über dem Urwald abgeschossen, fällt in die Hände der Vietcong und flieht mit ein paar Soldatenkumpeln. Sie fressen Maden, messerscharfe Pflanzen schneiden ins Fleisch. Allmählich schrumpft die Gruppe bärtiger, blutverkrusteter Männer. Gerettet wird nur einer: Dengler.

Eine Passions- und Auferstehungsgeschichte als Höhepunkt des Münchner Filmfests. Und ein später Erfolg für Regisseur Werner Herzog. Mit „Rescue Dawn“ zieht er noch einmal all seine Register. Die Hauptdarsteller Christian Bale, Steve Zahn und Jeremy Davies haben sich für ihn bis auf die Knochen heruntergehungert. Selten, dass ihre Stimmen einmal zur normalen Lautstärke anheben. Selbst Wutausbrüche werden flüsternd gebrüllt. Das verleiht den Figuren einen Hauch von Aguirre- oder Fitzcarraldo-Wahnsinn. Auch wenn Herzogs Filme nie glamouröses Entertainment waren, sondern der Versuch, an der Grenze zum Dokumentarischen die Strapazen des filmischen Kampfs spürbar zu machen – so viel mitgelitten hat man selten.

Herzog ragte weit über alles hinaus, was die deutschen Filmemacher in München zu bieten hatten. Und dennoch entspannte er einen, nun ja, grünen Faden, der sich durch nahezu alle bemerkenswerten Filme zog: Die Figuren werden an abseitige, zumindest antiurbane Schauplätzen gezerrt und dort auf sich selbst zurückgeworfen. Als wären die Regisseure zur kollektiven Einsicht gelangt, dass der innere Schweinehund nur fernab der zivilisierenden Großstadtstraßen von der Leine gelassen werden kann. Der Berliner Simon Groß hat sich für die nordafrikanische Wüste entschieden. In seinem Debütfilm „Fata Morgana“ bricht ein deutsches Paar – Matthias Schweighöfer und Marie Zielcke – zu einem Abenteuertrip auf und verirrt sich in den unendlichen Weiten Marokkos. Konfrontiert mit einem namenlosen Fremden (Jean-Hugues Anglade), der sie in die Zivilisation zurückzubringen verspricht, zerbröseln Beziehung und bürgerliche Moral wie Wüstensandburgen. Ähnlich wie seine Protagonisten auf ihrer ziellosen Fahrt durch die beängstigend schöne Einöde, findet Groß keine klare Richtung, mäandert zwischen Nicolas Roegs „Walkabout“ und dem Horror von „Wolf Creek“. Dass er dennoch den renommierten „Förderpreis Deutscher Film“ gewann, offenbart die Schwäche der Konkurrenz: Der 25. Filmfest-Jahrgang gehörte nicht dem Nachwuchs, sondern den Rückkehrern.

Hans Steinbichler zum Beispiel. Er gewann vor vier Jahren mit „Hierankl“ den Nachwuchspreis. Mit „Autistic Disco“ betont er, dass er nicht zu den großen Optimisten zählt. In der klamm-kalten Abgeschiedenheit der bayerischen Berge werden sieben jugendliche Insassen einer Psychoklinik für ein Resozialisierungsprogramm zusammengeführt. Sie stammeln und brüllen Sätze, die wie Geröll den Abhang der zerklüfteten Felsenseelenlandschaft hinunterstürzen. In den streng komponierten Tableaux, oft aus extremer Untersicht gefilmt, finden sich die Soziopathen nie zu einer harmonischen Gruppe zusammen, sondern blicken – ins Nichts. Ein genauer, sehr roher Film als Abgesang auf die Generation iPod, in der jeder zu seinem eigenen Soundtrack tanzt.

Seit Marco Kreuzpaintner, ein anderer Bayer, den Münchner Publikumspreis für seine Teenagergeschichte „Sommersturm“ gewann, sind drei Jahre vergangenen. Bald fand sich Kreuzpaintner in Hollywood wieder, in der Obhut von Roland Emmerich. Der gab ihm Geld für eine Geschichte, die sich entlang der staubigen Grenze zwischen Mexiko und den USA entwickelt. „Trade“ schlägt gefährliche Volten zwischen Exploitation und Aufklärung. Es geht um die dreckigste Seite der Globalisierung: den weltweiten Handel mit minderjährigen Sexsklavinnen. Ähnlich wie man Werner Herzog die patriotischen Aufwallungen am Ende seines Filmes verzeiht, sieht man Kreuzpaintner seinen Balanceakt zwischen Kolportage und Reportage nach, weil „Trade“ letztlich doch funktioniert. Das liegt auch an Hauptdarsteller Kevin Kline, dessen Gravität den fiebrig-flirrenden Stil von Kameramann Daniel Gottschalk und Cutter Hansjörg Weißbrich austariert.

Von der ausgedörrten Landschaft Mexikos bis zur verschneiten, sturmzerzausten Ostseeküste ist es ein weiter Weg. Volker Koepp setzt mit „Holunderblüte“ seine Erkundungen Osteuropas fort – und könnte dabei nicht weiter von Kreuzpaintners Sensationskino entfernt sein. Dieses Mal ist Koepp in die verwitterte russische Exklave Kaliningrad aufgebrochen, die ehemals zu Preußen gehörte. Er findet vor allem verwaiste Kinder vor, die er ausführlich zu Wort kommen lässt. Koepps Dokumentation bleibt ungewöhnlich luftig – die Bilder des landschaftsmalenden Kameramanns Thomas Plenert entschädigen dafür.

Am Ende bleibt nach all der Schwermut: die befreiende Kraft des Lachens. Zum Abschluss zeigte das Festival Rainer Kaufmanns „Ein fliehendes Pferd“, die pointierte Adaption der Novelle von Martin Walser. Auch Kaufmanns Karriere begann einst in München, mit dem Nachwuchspreis für seine Beziehungskomödie „Stadtgespräch“. Nun kehrt er zum wohltemperierten, manchmal erotisch erhitzten Lustspiel zurück. Vor dem Hintergrund des sommerfrischen Bodensees kommen zwei Paare zusammen. Beim double dating brechen vergessene Begierden auf, wobei der Film seinen Humor aus dem Kampf zweier Gockel bezieht. Auf der einen Seite das grantige Graugesicht des Intellektuellen (Ulrich Noethen); auf der anderen Seite die Stimmungskanone (Ulrich Tukur), die man gerne zur Explosion bringen würde, damit sie endlich verstummt.

Selbst in Kaufmanns Komödie geht es um einen Kampf mit den Naturgewalten. Nicht im Dschungelgrünen, sondern im Dunkelblau des tosenden Bodensees.

Julian Hanich

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