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Melodien nach Kindertagen. Kerstin Preiwuß.

© Holm-Uwe Burgemann/Präposition

Multimediale Literatur: Ernst ist unsere wahre Freude

Das Online-Magazin "Präposition" glänzt vor allem durch einlässliche Gespräche. Die Zeitschriftenkolumne.

Von Gregor Dotzauer

Vokabeln wie aus einer anderen Zeit: Kritik. Widerstand. Das Unbild einer totalen Industrie. Schreiben einer anderen Ordnung. Und am Ende das revolutionäre Versprechen: „Man wird daraus einmal alle Konsequenzen ziehen“.

Was Konstantin Schönfelder und Holm-Uwe Burgemann, die Begründer von „Prä|Position“ (www.praeposition.com), mit ihrem „außer-analogen Raum“ im Sinn haben, der sich auch als Netzzeitschrift mit multimedialen Angeboten beschreiben ließe, klingt erst einmal verdächtig wenig nach Gegenwart.

Maurice Blanchot, der Dichterdenker eines entsubjektivierten, sich selbst auslöschenden Sprechens, spukt hier herum. Der poststrukturalistische Roland Barthes taucht als Pate auf. Und der sperrige Name geht auf „Die Seide, der Raum, die Sprache, das Herz“ zurück, einen Essay der dänischen Lyrikerin Inger Christensen.

„Alle Präpositionen", heißt es da, „sind am ehesten unsichtbar. Sie erhalten die Sprache auf dieselbe Weise, wie der Raum die Planeten trägt.“ Drei aller Ehren werte Köpfe vom Ahnenfriedhof, doch eigentlich niemand, den man mit Mitte zwanzig aufs Podest heben würde.

Doch vielleicht ist genau dies eine Erwartung, um die sich jener Teil einer noch kaum der Universität entwachsenen Generation, die sich hier ein Forum verschafft, am wenigsten schert. Es klingt nach überkommenem linkem Kulturpessimismus, wenn es „gegen die spätironischen und pseudo-plebiszitären Ausfertigungen einer Gegenwart des Einfachen und Seichten“ geht. Es handelt sich aber um eine Ernsthaftigkeit, die es immer wieder neu zu erringen gilt.

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Unabhängig davon ist das Ganze nicht gegen Prätenziöses gefeit. Das beginnt bei den Rubrikentiteln. Die Rezensionen laufen unter „Sentimenthek“, Clara Neuberts Podcasts – unter anderem mit den Schriftstellern Joshua Groß und Senthuran Varatharajah – heißen „Gegenwärts“, und eine noch im Entstehen begriffene Reihe mit Primärtexten hört auf den Namen „Texturen“.

Das Pfund, mit dem diese „Präposition“ wuchern, sind indes die Gespräche: einlässliche, teils über Tage entstandene Dialoge in Schrift und (auszugsweise) Bewegtbild zwischen Menschen, die tatsächlich etwas voneinander wissen wollen.

Sorgfältig inszenierte Begegnungen, aus denen weder öde Eins-zu-Eins-Abschriften hervorgehen noch auf betont lässig frisierte Interviews. Allein die Länge von bis zu 70000 Zeichen, die mitunter schon für ein kleines Buch reichen würde, vermittelt eine ausgezeichnete Vorstellung vom jeweiligen Denkstil der Befragten.

Der Philosoph Peter Trawny auf dem Berliner Teufelsberg. Die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz auf dem Friedhof in Frankfurt. Der Verleger Sebastian Guggolz vor seinem Ladengeschäft auf der Roten Insel in Schöneberg.

Die Theoretikerin Juliane Rebentisch auf den Eingangsstufen zur Offenbacher Hochschule für Gestaltung. Oder die Literaturkritikerin Insa Wilke im Zug: Im Sprechen entwerfen sie Porträts von sich, die auch in der Verweigerung persönlicher Details zutiefst persönlich sind.

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Wohl noch nie hat der Berliner Literatur- und Kulturwissenschaftler Joseph Vogl seine Fremdheit gegenüber den sinnlichen Qualitäten von Literatur so offen zugegeben wie in dieser Darlegung seines „hypermobilen Denkens“. Er entwirft sich als Gegenfigur zu seinem besten Freund, dem verstorbenen Kosmopoliten Roger Willemsen: „Reisen und gutes Reisen heißt Erwartungsfreude, und bei mir würde ich von Erwartungsunlust sprechen.“

Es gibt aber auch Hilfreiches zum Verständnis der aus Mecklenburg-Vorpommern stammenden Erzählerin und Dichterin Kerstin Preiwuß. Mit dem Lyrikband „Taupunkt“ (Berlin Verlag) hat sie gerade ein neues Beispiel ihrer spröden Kunst vorgestellt. „Ab wann fängt man an, zu schreiben“, fragt sie.

„Wenn ich bei mir darüber nachdenke, kommt das aus der Kindheit. Ich laufe allein durch die Landschaft, durchs Unterholz und entdecke, nehme Räume wahr. Ich versuche, mir – vor dem Lesenlernen noch – Lieder auszudenken. Bei mir kommt das Schreiben vom Ton. Der Ton war vor den Büchern und vor dem Lesen. Vor den Begriffen. Es ist der Ton, die Melodie.“

Dieses Sangliche, manchmal fast Märchenhafte mit einer ungewöhnlichen Sensibilität für alles Physische mit einem hohen Abstraktionsvermögen zu vereinen gelingt hier überzeugend. „Prä|Position“ glänzt aber auch durch die luftige, großzügige Gestaltung: Printtugenden und digitale Möglichkeiten in selten trauter Einigkeit.

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