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Kultur: Murmeln mit Mäusen

Schwerelose Weltlichkeit: Hendrik Rosts Gedichtband „Licht für andere Augen“.

Von Gregor Dotzauer

Literatur führt immer Geistergespräche. Sie erhört die Stimmen der Vergangenheit, lauscht dem Kommenden seine Geheimnisse ab und gibt allem im Hier und Jetzt eine Gestalt. Der Lyriker Hendrik Rost versteht unter Schreiben sogar ausdrücklich ein Totengespräch. „Ad plures ire“ – zu den Vielen gehen – hat er einmal ein Gedicht betitelt und die Wendung, mit der die Römer das Sterben umschrieben, zum Prinzip der Poesie schlechthin erklärt. Jeder Vers fügt sich für ihn in „ein Dauermurmeln, das plötzlich an unvermuteter Stelle neu ansetzt“.

Dazu gehört, dass ihm auch die Idee des Zu-den-Vielen-Gehens erst durch Walter Benjamin zugewachsen ist. Und dazu gehört, dass „Ad plures ire“ ein den Tod beschwörendes Motto des Russen Ossip Mandelstam trägt. Doch Rosts Gedichte waren nie schwer und schwarz, sondern bei allen Melancholien immer licht und transparent. Sie waren überdies stets voraussetzungslos zugänglich. Das gilt auch für seinen sechsten Lyrikband „Licht für andere Augen“, der in drei Abteilungen 66 Gedichte enthält und ihn auf der Höhe seines über die Jahre erworbenen Könnens zeigt. Wo er früher auf den Schultern literarischer Riesen gelegentlich über Prätentiöses stolperte, da geht er heute staunenswert bildsicher, elegant – und auf Zehenspitzen.

Aufgewachsen zwischen Ems und Ruhr, studierte der 1969 geborene Rost in Kiel Literatur und Philosophie und debütierte 1995 mit dem Band „vorläufige gegenwart“. Vor zehn Jahren war er Teil der 74-köpfigen Autorenschaft, die mit der Anthologie „Lyrik von jetzt“ so etwas wie das Gründungsmanifest einer neuen Generation deutscher Dichter formulierte. Von den losen Gruppen, die daraus entstanden, hat er sich allerdings stets ferngehalten, und vor den Verschlingungskräften des Gravitationszentrums Berlin bewahrt ihn die Randlage von Lübeck, wo er heute mit seiner Familie lebt.

Aus dem Alltag stammt auch der Stoff seiner Gedichte – wenn das für die Augenblickskonstellationen und die Spannungen, die in ihnen wirken, nicht ein viel zu großes Wort wäre. Die Besichtigung einer Wohnung und ihrer unheimlichen Leere. Ein Spaziergang in der Lübecker Bucht. Ein philosophischer Dialog mit der vierjährigen Tochter. Eine „Notiz an das Neugeborene“. Eine Reise nach Paris. In Rosts überwiegend narrativen oder szenischen Gedichten, allesamt ungereimt in freiem Vers, wohnt ein stets erkennbares Ich, Du und Wir.

Andere Texte entwerfen Stillleben, wägen mit leichter Hand Gedankliches und verwandeln sogar Kierkegaards Begriff Angst oder Hegels Leib-Seele-Verständnis in einleuchtend Anekdotisches. Dabei verneigt sich Rost mit Motti und Variationen unter anderem vor Nicolas Born, Thomas Kling, Inger Christensen und Rolf Dieter Brinkmann, dessen aus der Selbstnegation geborenes „Gedicht“ er in „Inkarnation“ beerbt: „In diesem Gedicht wird kein Fleisch gegessen. / Dieses Gedicht ist nicht animalisch“.

Ein besonders glückliches Beispiel seiner Kunst ist das eröffnende Liebesgedicht „Und Maus“: „Seit wir eine unsichtbare Katze / haben, ist nichts mehr, wie es war“, beginnt es und erfindet im Herumschleichen des imaginären Tiers – „nur so ein Ball aus Energie“ – ein wunderbares Bild für das, was dieses Wir verbindet und zugleich eine poetologische Metapher.

Das Wort Gott kommt übrigens viermal vor, doch Rost bleibt zutiefst weltlich. Er beherzigt „No Ideas But in Things“, das alte Wort des von ihm verehrten William Carlos Williams: Vergesst die Begriffsluftschlösser der Metaphysik, hier auf Erden richten wir uns ein. Gregor Dotzauer

Hendrik Rost: Licht für andere Augen.

Gedichte.

Wallstein Verlag,

Göttingen 2013.

80 Seiten, 16,90 €.

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