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Vielseitig. Walter Limots kubistisches Porträt von Marc Chagall entstand im Jahr 1964.

© Limot, Paris 1964/Museum fuer Fotografie

Museum für Fotografie: Genie und Gesicht

Giacometti, Dalí, Frida Kahlo: Das Berliner Museum für Fotografie präsentiert Künstlerporträts.

Erste Erkenntnis: Künstler sind auch nur Menschen. Anschließende Frage: Wieso dann dieser Götzendienst? In säkularen Zeiten mag die Kunst zwar einer der letzten Orte sein, an denen man so etwas wie Transzendenz erfahren kann. Warum aber muss man die Fotos ihrer Schöpfer wie Heiligenbildnisse verehren?

Unter dem Titel „Künstler Komplex“, für den der Psychoanalytiker Carl Gustav Jung zitiert wird, präsentiert das Berliner Museum für Fotografie 180 fotografische Künstlerporträts aus der Sammlung Platen. Angelika Platen hat sich selbst als Künstlerporträtistin einen Namen gemacht, ihre umfangreiche Kollektion verdankt sich damit auch dem Blick einer Expertin. Beuys, Baselitz, Warhol, Kahlo, Dalí, sie sind alle vertreten. Es gibt Nahaufnahmen und Totalen, Künstler bei der Arbeit und Künstler in Ateliers, Künstler auf Straßen, Künstler an Stränden.

Zwar stammten die Fotografien allesamt aus dem 20. Jahrhundert, dennoch atmet die Ausstellung den Geist des frühen 19. Jahrhunderts, als der Geniekult sich auf dem Höhepunkt befand. Die Ausstellung verharrt jedenfalls in einer Position der Verehrung, aus der heraus Künstler zu „gottgleichen Schöpfern“ werden. Sie verspricht „eine Schau in den Kopf der Künstlerinnen und Künstler“, mit dem „Thema Kreativität im Mittelpunkt“. Kann man die Kreativität eines Menschen sichtbar machen, wenn man ihn oder sie bei der Arbeit fotografiert? Lässt sich ein Gedanke mit der Kamera aufnehmen? Kann die Fotografie, dieses Medium des Moments, den Prozess einfangen, in dem ein Werk entsteht?

Giacometti im Regen, die Zigarette in der Linken

Ein Foto vom malenden Keith Haring ist eben kein Abbild von Genialität, sondern einfach nur das Foto eines Mannes, der sich in schneeweißen Tennissocken mit einem Pinsel über seine Leinwand krümmt. Es ist sein Werk, das von seiner Kreativität kündet – und nicht das Bild von dessen Entstehung. Was im Übrigen nicht gegen die Fotografien spricht. Die von Ludger Derenthal und Jadwiga Kamola kuratierte Ausstellung präsentiert beeindruckende Porträts, deren ästhetische Qualität aber weniger damit zu tun hat, dass die abgebildeten Menschen Künstler sind. Sondern mit der Kunstfertigkeit der Fotografen.

Auf einem der Fotos von Henri Cartier-Bresson überquert Alberto Giacometti die Pariser Rue d’Alesia. Es regnet in Strömen, Giacometti, eine Zigarette in der Linken, hat sich seinen Mantel so weit über den Kopf gezogen, dass er selbst wie eine wandelnde Skulptur wirkt. Er blickt aus der Ferne zur Kamera, selbst der schmale Baumstamm zwischen ihm und dem Betrachter schützt nicht vor seinem bohrenden Blick. Oder Dan Budniks Aufnahme der fast 90-jährigen Georgia O’Keeffe, eines der wenigen Farbfotos der Schau, das mit seinem ChiaroscuroEffekt wie gemalt erscheint. O’Keeffe schaut in Richtung des Fensters, das außerhalb des Bildrands liegt, aber ihr Blick ist nach innen gekehrt. Ein langes Leben hat sich in ihr Gesicht gegraben, es wirkt geradezu erhaben.

Jeff Koons kauert im Regen

Die Ausstellung ermöglicht es dem Betrachter, die Strategien der Selbstinszenierung und des Selbstschutzes zu studieren. Magritte hält sich, statt eines Apfels wie auf seinem Gemälde „Der Sohn des Mannes“, die Hand vors Gesicht. Jeff Koons kauert im Regen mit Trenchcoat und Zigarette auf einer Brücke, als wollte er für einen Film Noir vorsprechen. Und Cy Twombly räkelt sich in seinem Wassily-Stuhl. Hallo, Narziss: Nicht wenige Künstler sind vor Spiegeln positioniert. Amüsant auch der Blick des Fotografen Alfred Stieglitz, der die ganze Prozedur natürlich nur allzu gut von der anderen Seite kennt. Er schiebt der Kamera seine rechte Schulter entgegen und blickt dabei ziemlich mürrisch drein.

In der Berliner Ausstellung sind gelegentlich auch Werke der porträtierten Künstler zu sehen. Spätestens hier offenbart sich, dass man mithilfe der präsentierten Fotografien tatsächlich nicht „in den Kopf der Künstlerinnen“ schauen kann. Etwa bei Cindy Sherman, die für ihre fotografischen Rollenspiele berühmt ist, mit denen sie die mediale Darstellung von Frauen subversiv unterläuft. Man sieht also zunächst ein Porträt von Benjamin Katz aus den Achtzigern, auf dem eine junge Cindy Sherman ungeschützt und unverstellt wirkt, fast verletzlich. Ein Bild, dem man nicht so recht trauen will, weil es den stereotypen Darstellungen junger Künstlerinnen exakt entspricht. Dem Porträt gegenüber hängt Shermans Werk „Untitled #314F“, das in etwa so wirkt, als hätte jemand eine Handvoll Chinaböller in eine Halloween-Maske gesteckt und das Nachspiel der Explosion aufgenommen. Ein völlig deformierter Schädel, die Augen quellen hervor, am unteren Bildrand schwimmt die obere Zahnleiste. Exakt das ist es, was auf den Porträts unsichtbar bleibt: die Kreativität der Künstler. Jonas Lages

Museum für Fotografie, Jebensstraße 2, bis 7. Oktober.; Di–So 11–19 Uhr, Do bis 20 Uhr. Der Katalog ist im Kehrer Verlag erschienen und kostet 40 €.

Jonas Lages

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