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Neudefinition. Das Museum soll in der einstigen faschistischen Parteizentrale von Predappio, der Casa del Fascio, aufgebaut werden.

© picture alliance / ROPI

Museum für Predappio: Kampf gegen den Schatten

Von der Mussolini-Pilgerstätte zum antifaschistischen Gedenkort: In der Geburtstadt des Diktators soll ein Museum entstehen, das die europäische Geschichte des Totalitarismus aufarbeitet.

Kaum jemand außerhalb Italiens kennt Predappio: eine Kleinstadt in der Emilia Romagna, ganz in der Nähe der attraktiven Stadt Forlì. Gelegen in einer sanften, wunderschönen Landschaft, bekannt für hervorragende Rotweine. Aber auch ein Kultort für italienische Neofaschisten, denn in Predappio kam 1883 Benito Mussolini zur Welt. Und nicht nur das: Mussolini, der Italien von 1922 bis 1943 regierte, ließ Predappio in den Zwanzigern als erste faschistische Neustadt planen und bauen, mit Kirche, Haus der Partei (Casa del Fascio), Markt, Schule, Kindergarten, Gesundheitszentrum, Kaserne, Hotel, Post und sozialem Wohnungsbau. Predappio wurde zum Vorbild zahlreicher Neustadtgründungen des italienischen Faschismus – ein ernstzunehmendes Beispiel des europäischen Städtebaus im 20. Jahrhundert.

Zum Kultort wurde Predappio aber erst, nachdem 1957 Mussolinis Leiche in das Mausoleum seiner Familie zurückgeführt wurde, auf den Friedhof San Cassiano, der in der Mussolini-Zeit großspuriger ausgebaut wurde. Nunmehr war die auf Schweigen und Vergessen orientierte Nachkriegspolitik gescheitert. Am Grab Benito Mussolinis liegt noch heute ein Kondolenzbuch, das sich immer wieder sehr schnell füllt, vor allem mit markigen neofaschistischen Sprüchen. Bis zu 100 000 Besucher pilgern jährlich zum Mausoleum. Seit den achtziger Jahren gibt es in der Kleinstadt überdies mehrere Supermärkte, die faschistische Devotionalien verkaufen – Skulpturen, Bilder, Schriften. Nicht nur Mussolini wird damit gehuldigt, sondern auch Adolf Hitler.

Eine Ausstellung in Mussolinis Geburtshaus bildete den Anfang

Was auf den ersten Blick vielleicht überrascht: Predappio wurde und wird von einem linken Bürgermeister regiert. Die Romagna war nach dem Zweiten Weltkrieg kommunistisches Kernland, heute ist sie eine Hochburg der gemäßigt linken PD (Partito Democratico). Die Regierenden haben dem Treiben in Predappio allerdings bisher hilflos zugesehen, ja, haben die rechten Pilger geduldet und ignoriert. Nun hat Bürgermeister Giorgio Frasinetti ein Projekt vorgestellt, das aus der Defensive herausführen soll: In der ehemaligen, nicht mehr genutzten Casa del Fascio, einem stattlichen, den Hauptplatz zusammen mit der Kirche beherrschenden Großbau, soll ein Museum entstehen, das sich mit dem italienischen Faschismus auseinandersetzt. Damit, so Frasinetti, „kann Predappio einen Beitrag für Europa leisten“. Ein erster Schritt in diese Richtung war schon letztes Jahr sichtbar: Im September 2013 wurde in dem bescheidenen Geburtshaus Mussolinis die Ausstellung „Il giovane Mussolini“ (Der junge Mussolini) eröffnet. Dazu gehörte schon ein wenig Mut, zumal wenn der Ausrichter eine Stadt mit kaum 6500 Einwohnern ist. Aber die Ausstellung wurde von ausgewiesenen und engagierten Wissenschaftlern vorbereitet und präsentierte auch unbekannte Dokumente über die politischen Aktivitäten des späteren Diktators. Etwa aus der Zeit, als dieser sich noch links engagierte, unter anderem als Chefredakteur der sozialistischen Zeitung „Avanti!“.

Das in Predappio geplante Museum ist ein Projekt von höchster europäischer Bedeutung. Denn der italienische Faschismus war ein Produkt und ein Produzent europäischer Geschichte. Das gilt natürlich auch für Hitler-Deutschland, Franco- Spanien, Salazar-Portugal und Stalins Sowjetunion. Noch wird das schwierige Erbe der Diktaturen des 20. Jahrhunderts – wenn überhaupt – meist national verarbeitet, von nationalen Experten, mit einem nationalen Blick. Zugleich werden die nationalen Interpretationen festgeschrieben und kaum weiterentwickelt oder infrage gestellt. Auch in Deutschland, dessen Vergangenheitsbewältigungskultur ja durchaus umfangreich und vielschichtig ist, gibt es dafür Beispiele, etwa das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, dessen Präsentation aus dem Jahre 2006 alle europäischen Bezüge ignoriert.

Das Projekt in Predappio könnte europäische Geschichte schreiben. Bei der Eröffnung der Ausstellung zum jungen Mussolini hat Bürgermeister Giorgio Frasinetti die europäische Bedeutung des Ortes, des Diktators, des Faschismus unterstrichen. Nur eine offensive europäische Auseinandersetzung mit dem diktatorischen Erbe kann dem nationalen neofaschistischen Pilgerkult wirksam begegnen. Predappio könnte zeigen, wie eine europäische Erinnerung aussehen könnte – mit europäischen Bezügen, mit europäischen Diskussionen, die das schwierige Erbe immer wieder neu auf den Prüfstand stellen. Zusammen mit den Europawahlen fanden in Italien auch Kommunalwahlen. Frasinettis Wahlliste erhielt komfortable 45 Prozent der Stimmen. Jetzt könnte das Modellprojekt starten. Wenn die Ressourcen mobilisiert und wenn die Skeptiker überzeugt werden können.

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