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Museum für Vorderasiatische Kunst: Und der Greif hebt seine Schwingen

Nach der Ausstellung gehen die Schätze auf Reisen – das Metropolitan-Museum in New York, der Louvre in Paris und das British Museum in London haben bereits Interesse angemeldet. Tell Halaf in Berlin bleibt eine Fortsetzungsgeschichte.

Die niederschmetternde Bestandsaufnahme des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen schien das letzte Wort zu sein. 1954 stand in der Bilanz über Verluste der öffentlichen Kunstsammlungen in Mittel- und Ostdeutschland klipp und klar: „Das Tell-Halaf-Museum ist als Ganzes zugrunde gegangen.“ Danach wollte niemand mehr so genau wissen, wohin die 1943 in einer Bombennacht in Tausende Stücke zerborstenen Basaltfiguren gekommen waren, wer die Überreste dieser 3000 Jahre alten Schätze aus dem Zweistromland geborgen haben könnte.

Eine Tankstelle und Automobilprüfstation befinden sich heute auf dem in den fünfziger Jahren endgültig freigeräumten Gelände. Nichts erinnert in der Charlottenburger Franklinstraße mehr daran, dass hier einst eines der sonderbarsten Museen Berlins gestanden hat, zugleich eines der frühesten Beispiele für eine Umnutzung industrieller Bauten für kulturelle Zwecke. Am 15. Juli 1930 hatte hier Max von Oppenheim in einer ehemaligen Maschinenhalle sein Quartier für die Götter vom Tell Halaf eröffnet. Dem Museum für Vorderasiatische Kunst fehlten die Gelder, um sie gegen eine „Aufwandsentschädigung“ zu erwerben. Als Vorboten einer künftigen Zusammenführung befanden sich auf der Museumsinsel jedoch bereits ein gewaltiger steinerner Vogelgreif und 28 Orthostaten, Reliefplatten aus dem Sockelbereich des Tempels.

Der Direktor des Museums für Vorderasiatische Kunst, Walter Andrae, sollte bis zuletzt Oppenheims Ansprechpartner bleiben, auch nachdem sein Lebenswerk in Trümmern lag. Da der Altertumsforscher längst nicht mehr in Berlin weilte, hatte Andrae nach dem Bombenangriff die Sicherung der Fragmente angeordnet. Bis kurz vor seinem Tod 1946 hoffte der Ausgräber, dass zumindest seine geliebte Göttin, das sitzende Riesenweib mit den Zöpfen und der spitzen Nase, wieder zusammengesetzt werden könnte. Ihre Überreste waren mit den neun Treckerfuhren Sammlungsgut zur Museumsinsel verfrachtet worden und schlummerten ebenfalls ein halbes Jahrhundert in den Depots des Vorderasiatischen Museums, wo sie nach ’89 wiederentdeckt wurden: eine Ausgrabung im eigenen Haus.

Ein „Veilchen im Verborgenen“ hatte von Oppenheim sein privates Tell-Halaf-Museum bei der Eröffnung genannt. Und doch fand das Publikum zu ihm. Die spektakulären Ausgrabungen im Vorderen Orient, die Relikte untergegangener Kulturen faszinierten die Menschen. Auch manch prominenter Besuch machte von Oppenheim seine Aufwartung, etwa der berühmte britische Archäologe Sir Max Mallowan und seine Frau, der Krimi-Autorin Agatha Christie, die sich über Oppenheims Hingabe an seine steinerne Göttin amüsierte. „Ach, meine schöne Venus!“ nannte er sie schmachtend in Gegenwart der erstaunten Gäste.

Das Museum imponierte vor allem mit einer lebensgroßen Rekonstruktion der Palastfassade von Tell Halaf, bei der die drei Hauptgottheiten als sechs Meter hohe Rundstatuen im Durchgang aufgebaut waren: Teschup stand auf dem Stier, flankiert von Hepet auf einer Löwin und dem Sonnengott auf einem Löwen. Im Entree des Nationalmuseums von Aleppo lässt sich mit Hilfe von Repliken dieser gewaltige Eindruck heute erneut erleben.

Eine Ahnung davon erhält man nun auch in der Ausstellung „Die geretteten Götter aus dem Palast vom Tell Halaf“ im Pergamonmuseum. Im Schlütersaal stehen vor einer kostbar mit Blattgold ausgelegten Museumswand Löwe und Stier, an den seitlichen Pfeilern sind ein aus den Berliner Trümmern wieder zusammengesetzter Sonnengott und die aus Aleppo als Leihgabe entsandte Hepet einander gegenübergestellt. Sie war bei der Fundteilung in Syrien und damit von den Bombenangriffen verschont geblieben.

Rückblickend scheint kaum vorstellbar, wie die prachtvollen Figuren aus den 27 000 Bruchstücken rekonstruiert werden konnten. Max von Oppenheim hatte immer daran geglaubt. Noch 1946 schrieb er: „Die großartigen zum Teil riesengroßen Steinskulpturen des Tell Halaf-Museums sind nur durch den Brand zerplatzt und werden, so Gott will, demnächst wieder zusammengesetzt werden können, ebenso wie ich sie in Berlin wieder rekonstruiert habe, nachdem sie vor 3000 Jahren (...) zum ersten Male bei dem Brande der Burg auf dem Tell Halaf zerstört worden waren.“

Umso mehr stellt sich angesichts der mühevollen Arbeit die Frage, was mit den kostbaren Figuren nach Ausstellungsende im August passiert. Sie sollen nach Vollendung des vierten Flügels vom Pergamonmuseum einen Höhepunkt des Rundgangs durch die Hochkulturen Ägyptens, des Alten Orients, der Antike und des Islam bilden und den Übergang ins Vorderasiatische Museum markieren, wie Museumsdirektorin Beate Salje auf den Plänen zeigt. Der Besucher schreitet Kalabscha-Tor, Eingangsfassade von Tell-Halaf, Prozessionsstraße von Babylon und Ischtar-Tor, Markttor von Milet und Pergamonaltar nacheinander ab.

Doch das ist Zukunftsmusik. Die Vollendung dieses Flügels und damit die endgültige Beheimatung der Schätze des Tell Halaf im Vorderasiatischen Museum hat der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz erst in dieser Woche bei seiner Jahrespressekonferenz auf das Jahr 2025 terminiert. So lange würden die geretteten Götter wieder verschwinden. In der Zwischenzeit sollen die Monumentalskulpturen auf Reisen gehen: Das Metropolitan-Museum in New York, der Louvre in Paris und das British Museum in London haben bereits Interesse an Leihgaben angemeldet. Tell Halaf in Berlin aber bleibt bis auf Weiteres eine Fortsetzungsgeschichte.

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