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Musical: Die Kartei hat immer Recht

Das gibt es weltweit nur in Berlin: Beim Arbeitsamt kümmern sich Spezialisten um die Vermittlung von Musical-Darstellern. Ein Besuch bei den Jobvermittlern, die auf die Welt des Entertainment spezialisiert sind.

Patrick Stamme sieht unverschämt gut aus: 1,79 Meter groß, blaue Augen, blonde Haare, Verführerlächeln. Er spricht Englisch und Französisch, kann Fechten, Rollerbladen, Tennisspielen, spielt Gitarre. Das Beste aber ist: Patrick Stamme ist zu haben – für jede Art von Unterhaltungstheater. Denn der 24-Jährige ist einer von 1400 Musicalprofis, die sich auf der Website der ZAV-Künstlervermittlung präsentieren.

ZAV steht für „Zentrale Auslands- und Fachvermittlung“. Bei dieser Service-Einrichtung der Bundesagentur für Arbeit kann man zwar keine Hartz-IV-Anträge stellen – aber tolle Jobs finden. Neben Managern und Menschen, die im Ausland arbeiten wollen, kümmert sich die ZAV nämlich um Könner aus allen Bereichen der darstellenden Künste sowie um Profis aus künstlerisch-technischen Berufen rund um Bühne und Kamera.

An Einrichtungen wie der ZAV erkennt man, dass Deutschland immer noch eine Kulturnation ist. Hier werden eben nicht nur die kulturellen Institutionen großzügiger unterstützt als in den meisten anderen Nationen, hier kümmert man sich eben auch staatlicherseits darum, dass Künstler in Lohn und Brot kommen, die am Anfang ihrer Karriere stehen oder eine schwierige Phase durchmachen, weil sie sich altersmäßig beispielsweise in der Grauzone zwischen jugendlichem Liebhaber und komischem Altem befinden. Gerade für Musical-Darsteller ist das besonders wichtig, weil sie im Gegensatz zu ihren Kollegen vom Opern- und Schauspielfach nicht auf feste Verträge in Theaterensembles hoffen können, sondern jeweils nur Stückverträge bekommen. In allen anderen Ländern der Welt sind sie auf private Agenturen angewiesen, die für ihre Vermittlungsarbeit natürlich einen Prozentsatz der ohnehin schon geringen Gage verlangen. In Deutschland können sie zur ZAV gehen.

Zum Beispiel ins Berufsinformationszentrum der Bundesagentur für Arbeit am kürzeren Ende der Friedrichstraße, gleich beim U-Bahnhof Kochstraße. Man durchquert die schmucklose Halle, nimmt den Aufzug in den 5. Stock, läuft über lange Flure und findet sich schließlich in einer typischen Amtsstube wieder: Linoleumboden, einfachste Büromöbel, Topfpflanzen. Ein nüchternes Ambiente, das so gar nicht zum Glamour des Showbusiness passen will.

Andererseits: Hinter den Kulissen der allermeisten Theater sieht es ja auch höchst bescheiden aus. Der beiden „Arbeitsvermittler mit besonderem beruflichen Hintergrund“ jedenfalls, die hier an ihren Schreibtischen sitzen, haben keine Probleme, sich gedanklich in die Illusionswelten des Entertainment zu versetzen. Denn sie kennen den Betrieb von innen.

Die ZAV Vermittler über Chancen ihrer Schützlinge und die Rolle als Fürsprecher

Norbert Hunecke stand nach seinem Musicalstudium in Wien zunächst selber als Darsteller auf der Bühne, rutschte dann bei einer Tourneeproduktion ins Organisationsteam, wurde Company-Manager bei „Buddy“, später beim „Phantom der Oper“ und dem „Glöckner von Notre- Dame“. Kaum, dass er sich als Agent selbstständig gemacht hatte, kam die Frage, ob er sich nicht als Vermittler bei der ZAV bewerben wolle. Huneckes Kollege Thomas Georgi dagegen ist ausgebildete Opernsänger. Er spezialisierte sich auf Operette, sang unter anderem am Metropoltheater, begann dann auch, Regie zu führen. Er stieß 2006 zur ZAV, zwei Jahre nach Norbert Hunecke.

Anders als normale Jobvermittler sitzen Hunecke und Georgi nicht tagein, tagaus über ihren Akten. Sie sind viel unterwegs, schauen sich überall im deutschsprachigen Raum Vorstellungen an, sprechen mit Intendanten und Künstlern, bieten an den Musicalschulen studienbegleitende Beratung an. Einmal im Monat gibt es zudem ein Vorsingen in Berlin. Denn ohne Qualitätscheck kommt keiner in die ZAV-Kartei. „Wir nehmen nur solche Kandidaten auf, von denen wir überzeugt sind, dass sie tatsächlich ihren Lebensunterhalt als Profi bestreiten können“, erklärt Georgi.

Anders als bei Ärzten, Ingenieuren oder Rechtsanwälten gibt es beim Musical kein klares Berufsbild. Jeder darf von sich behaupten, Darsteller zu sein. Fernsehformate wie „Deutschland sucht den Superstar“ haben das Ihre dazu beigetragen, dass die beiden Jobvermittler jede Menge Traumtänzer und Amateure aussortieren müssen. Alle anderen bekommen ein konstruktives Feedback. „Wir können viel ehrlicher sein als die Privatlehrer, die mit ihren Schülern ja Geld verdienen wollen“, sagt Hunecke. Und auch am Theater drücken sich die Verantwortlichen im Zweifelsfall lieber vor harten Urteilssprüchen – nach dem Motto: „Rufen Sie nicht uns an, wir rufen Sie an“. Was meistens bedeutet, dass irgendwann eine Absage ohne Begründung im Briefkasten landet. Hunecke und Georgi verstehen sich als objektive Fürsprecher ihrer Schützlinge, als kritische Karriere-Leiter.

Wer aber durch ihre Qualifikationskontrolle gekommen ist, für den zahlt es sich meistens schnell aus, bei der ZAV registriert zu sein. Nicht nur, weil man Reisekostenzuschüsse beantragen kann, wenn man in ein bestimmtes Theater fährt, um sich dort vorzustellen. Sondern auch, weil viele Arbeitgeber zunächst bei der ZAV anrufen, wenn sie Rollen zu besetzen haben. Die Jobvermittlung schickt dann nur solche Bewerber los, die ihnen geeignet erscheinen. Das spart den Intendanten viel Zeit bei der Prozedur des Vorsingens.

Die Kommunikation der Jobvermittler mit den „Kunden“ läuft weitgehend elektronisch: Mitteilung über Vakanzen werden per Mail verschickt, die Künstler berichten dann, ob sie die Rolle bekommen haben.

Große Summen verdienen allerdings auch die Darsteller nicht, die in einer Show mitmachen. „Von den 1400 Leuten aus unserer Kartei verdienen vielleicht 20 richtig gut“, erzählt Hunecke. Das Brutto-Grundgehalt für junge Solisten an deutschen Theatern liegt nun einmal bei 1600 Euro. Wer spielt, für den reicht es gerade so, ist aber die Aufführungsserie vorbei, versiegt der Geldfluss sofort. „Über die Hälfte unserer Kunden sind klassische Rein-Raus-Hartz-IVler“, betont Georgi. Andere ziehen es vor, zwischen den Arbeitsphasen am Theater Aushilfsjobs anzunehmen, aus denen man im Falle eines Engagements schnell wieder herauskommt, so wie Hostess bei Messen, Kassierer im Kino oder Tresenkraft bei McDonalds. „Nur mit Idealismus kannst du diesen Job machen“, sagt Norbert Hunecke. „Du musst es unbedingt wollen – und unbedingt können.“

Am 20. und 21. Januar präsentieren sich auf Einladung der ZAV Absolventen der Musical-Studiengänge aus Berlin, Essen, Leipzig, München und Wien im UNI.T- Theater der UdK, Fasanenstraße 1. Jeweils ab 10 Uhr, Eintritt frei.

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