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Kultur: Musik-Biennale: Mit Boulez auf der Autobahn

"Nur das letzte Klaviersolo fehlt eigentlich noch", zitiert Arturo Tamayo augenzwinkernd seinen Mentor Pierre Boulez. "Éclat" gehört zu den Werken, die der Meister ständigen Umformungen unterwirft, und das seit 35 Jahren, ein ewiges work in progress.

"Nur das letzte Klaviersolo fehlt eigentlich noch", zitiert Arturo Tamayo augenzwinkernd seinen Mentor Pierre Boulez. "Éclat" gehört zu den Werken, die der Meister ständigen Umformungen unterwirft, und das seit 35 Jahren, ein ewiges work in progress. Wenn heute Abend im Konzert mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin die augenblickliche Fassung erklingt, können die Besucher der Musik-Biennale ein Höchstmaß an Authentizität erwarten. Denn wer hätte sich intensiver mit dieser Partitur auseinandergesetzt als Tamayo, der nicht zuletzt durch Kurse bei Boulez zu einem der profiliertesten Dirigenten Neuer Musik wurde.

Ganz verliebt führt er sie vor, erklärt unermüdlich die kompliziertesten Details. Besondere Ausführungsprobleme entstehen dadurch, dass hier nach der Phase der seriellen Festlegungen erstmals die Wahlmöglichkeit zwischen Alternativen eine Rolle spielt. Zwischen Lautstärkegraden etwa, oder zwischen Zeitmaßen, vor allem aber als Verfügung über den Einsatz bestimmter Instrumente. Das ist oft auf einer oberen oder unteren "Symbolleiste" notiert, auf der man nach erfolgter Entscheidung auch zu bleiben hat. "Boulez hat hier von Bahnen gesprochen, verschiedenen Wegen, die sich trennen und auch wieder zusammen kommen können, wie auf einer Autobahn".

Die Entscheidung etwa darüber, an wen er innerhalb von acht Sekunden acht Einsätze geben will, trifft Tamayo spontan - "so viele verschiedene Dinge kann man nicht im Kopf behalten." Für die Musiker also immer wieder eine Überraschung, die sie in besondere Spannung versetzt. Der spanische Dirigent lobt das Orchester als diszipliniert und lernwillig. Auch Sylvano Bussottis "I semi di Gramsci" für Orchester und Streichquartett - gespielt vom renommierten Arditti-Quartett - dürfte allein durch die eminente Klangfantasie des italienischen Komponisten zum Hörvergnügen werden. Eine deutsche Erstaufführung mit subtilem politischem Inhalt vom "Pasolini der Neuen Musik", der durch seine Unangepasstheit immer mal wieder in der Versenkung verschwindet. In der gleichen Besetzung erklingt als Uraufführung "Ferne Nähe" der schon mit vielen Preisen ausgezeichneten jungen Komponistin Isabel Mundry, ein Stück "mit einer interessanten Raumerfahrung".

"Ein sehr profiliertes Programm", findet der Dirigent, der sich als Gast der Biennale immer sehr wohl fühlt. Die geplanten Veränderungen in der Leitungsebene betrachtet er darum mit Sorge: "Heike Hoffmann hat das Publikum zur Neuen Musik gebracht, und wenn erst einmal etwas zerstört ist, wird es sehr schwer sein, es wieder aufzubauen."

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