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Musik: Flöte sucht Fahrrad

Warum das Berliner Orchester-Festival "Young Euro Classic" immer erfolgreicher wird.

Die Idee ist und bleibt genial: Während der Sommerpause der großen Klassikinstitutionen ein Jugendorchestertreffen zu veranstalten, das Berliner Konzerthaus zum Gendarmenmarkt zu öffnen, den Eingang aus den Katakomben in die Belle Étage zu verlegen, mit dem blauen EuropaTeppich auf der Freitreppe. An lauen Augustabenden fühlt man sich hier wie im Süden: Besucher lagern auf den Steinstufen, vom Zufall malerisch drapiert, andere flanieren über die Piazza, die Abendsonne taucht die Kulisse in zauberisches Licht. Ein Sommernachts-Klassiktraum.

Drinnen im Saal empfängt den Zuhörer erwartungsfrohes Summen. Weil fast alle Konzerte ausverkauft sind, wird selbst der Mittelgang im Parkett mit Stühlen aufgefüllt; eine festliche Gesellschaft versammelt sich, wobei sich die Festlichkeit nicht an der Kleidung, sondern der Hochgestimmtheit der in- und ausländischen Gäste festmacht. Die aktuelle Festival-Hymne vom Chinesen Guohui Ye ist mit ihrem Dissonanzgedudel im Terz-Rahmen mau ausgefallen. Die Qualität der Ausführung durch die Blechbläser des jeweiligen Orchesters schwankt zudem deutlich von Abend zu Abend, ebenso wie die Güte der Grußworte prominenter Paten. Zwei Festival-Rituale, die das Publikum hinnimmt. Schließlich ist es wegen der Orchester hier. Auf 23 500 Besucher beläuft sich die Bilanz des am Wochenende zu Ende gegangenen Festivals, fast alle Konzerte waren ausverkauft.

Längst hat Young Euro Classic sein geografisches Korsett abgestreift; in diesem Jahr folgte die musikalische Entdeckerroute der alten Seidenstraße, von China über Kasachstan und Aserbaidschan bis in die Türkei. Sicher, am Bosporus hat man ein anderes Verhältnis zur Lautstärke – als problematisch erweist sich beim Auftritt des Nationalen Jugendorchesters der Türkei am Sonnabend jedoch, dass Dirigent Cem Mansur die Energien der hoch motivierten, spieltechnisch konkurrenzfähigen Musiker nicht zu nutzen weiß. Er beschränkt sich aufs Koordinieren. So brachial und ohne Zwischentöne aber möchte man Brahms’ „Akademische Festouvertüre“ nicht hören, ironiefrei abgespult werden Poulencs „Les Biches“ zur Tingeltangel-Partitur und Rachmaninows dritte Sinfonie bleibt hohles Gedröhn. Interessant beginnt die Uraufführung von Ahmet Altinels „Quellen der Nacht“: klangfarbenreiches Rauschen in französisch-impressionistischer Tradition, das dann allerdings in vulgäre Fanfaren und wohlfeile Schlagzeugeffekte mündet: durch Nacht zum Lärm. Der Komponist erhielt gestern den Preis der Publikumsjury.

Entdeckungen und Enttäuschungen liegen bei Young Euro Classic immer nahe beieinander: Dennoch hat sich das Festival in seinem neunten Jahr zur Marke entwickelt, der das Publikum vertraut. Man geht hin und lässt sich überraschen. Zum Beispiel von der Verve der holländischen Musiker, die sich mit Jos van Immerseel an historischer Aufführungspraxis versucht haben – und eingeladen wurden, obgleich ihr Mozart-Beethoven-Schubert-Programm gegen die Statuten verstößt: Musik des 20. Jahrhunderts soll im Mittelpunkt stehen, Zeitgenössisches, idealerweise von lebenden Landsleuten der Nachwuchsmusiker. Die Philharmonia Moments Musicaux aus Taipei setzte mit einem wunderbar fernöstlich-atmosphärischen Konzert für Bambusflöten, Pipa-Laute und mitteleuropäisches Instrumentarium von Lai Deh-Ho zum Start am 1. August gleich ein Glanzlicht. Zur Halbzeit traf traditionelle chinesische Musik auf Renaissance-Gesang; das bereits zum dritten Mal aus chinesischen und deutschen Studenten formierte festivaleigene Orchester krönte seine Arbeitsphase nach einer ChinaTournee mit dem Auftritt in Berlin.

Ob ein Abend bei Young Euro Classic gelingt, hängt entscheidend von der Programmwahl ab: Klar, Mahlers Monumentalwerke garantieren Arbeit für alle auf der Bühne, ebenso Schostakowitschs Sinfonien – doch mit Spielwut allein dringt man kaum unter die Oberfläche dieser Werke. Noch schwerer sind die komplexen Klangarchitekturen von Johannes Brahms. Darum gilt eigentlich: Tschaikowsky is it! Die wild bewegte Gefühlswelt des Russen erschließt sich jungen Menschen unmittelbar, die gleißende „Pathétique“ des Schleswig Holstein Festival Orchesters wurde zu einem Höhepunkt dieses Sommers. Künftig gerne mehr davon! Und warum nicht auch mal etwas Verpöntes wie das „Capriccio Italien“ – zur Atmosphäre passt es perfekt!

Gestern ging das Festival mit dem Orchestre Francais des Jeunes zu Ende, 2009 begeht es sein erstes Jubiläum: Zehn Jahre Young Euro Classic – da wird es Zeit für eine neue Optik, die den bisherigen preisgünstigen, leider auch etwas provinziell anmutenden Auftritt verbessert, und sich entscheidet, ob das Festival sich als cool-metropolitane Angelegenheit versteht oder den Akzent eher auf den Exzellenz-Faktor legt. Eines darf sich Young Euro Classic schon jetzt als Erfolg anrechnen: Das Jugendorchestertreffen hat bewiesen, dass sich in der Klassikhauptstadt an jedem Tag des Jahres musikbegeisterte Massen aktivieren lassen.

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