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Kultur: Musik für Schraubenzieher und Ventilator

Vom Hausbesetzer-Treff zum Avantgarde-Club: Das „Ausland“ entdeckt musikalisches Neuland

Das „Ausland“ ist nicht weit. Es liegt unter der Erde, eine Treppe führt hinab wie in einen Bunker. Drinnen: eine Geräuschkulisse, die einen an eine Straßenbahnhaltestelle versetzt – die Schiene summt, in der Ferne rauscht ein LKW vorbei, ein Cabrio hält vor einer Ampel, aus dem Autoradio dröhnt Musik, Nachrichten, Stimmenwirrwarr. Ein älterer Herr steht auf einem Podest und bearbeitet seine auf dem Tisch verschraubte E-Gitarre mit Stahlwolle, Schraubenzieher und Mini- Ventilator. Keith Rowe macht das schon eine ganze Weile. Er zählte Ende der Sechzigerjahre zu den Pionieren einer radikal-freien Improvisationshaltung jenseits des Jazz-Idioms.

Das „Ausland“, Mitten im Prenzlauer Berg gelegen, ist eine Enklave. In dem etwa 40 Quadratmeter großen, 5,47 Meter hohen Raum finden seit einiger Zeit herausragende Konzerte mit außergewöhnlicher Musik statt. Dabei war das gar nicht so geplant. „Das jetzt acht von zehn Veranstaltungen Konzertcharakter besitzen, ist nicht gerade das, was wir uns erhofft hatten, als wir den Raum konzipiert haben“, erklärt Conrad Noack, einer von insgesamt acht Leuten, die das „Ausland“ betreiben. „Deshalb ist der Raum auch so universell gebaut“, fügt Elisabeth Enke hinzu und spielt damit auf die Inneneinrichtung an, die bis auf eine Eisentreppe und einen improvisierten Tresen eigentlich nur aus kahlen Wänden besteht. So ist das Ausland seit seiner Eröffnung im Dezember 2002 ein Geheimtipp geblieben.

Angefangen hat alles aber schon viel früher, mit dem während eines Unistreiks gegründeten Vereins „Projekt Archiv“ und der „Lyche 60“, einer Kneipe, die hauptsächlich von der Hausbesetzer-Szene im Prenzlauer Berg besucht wurde. Bereits 1991 fanden hier Konzerte und andere Veranstaltungen statt, bis der Ort 1998 wegen allerlei Auflagen geschlossen wurde. Dem Festival „Leise im Ausland“ mit Konzerten in Zimmerlautstärke folgte der Umbau zur „schönsten Tiefgarage von Berlin“.

An alte Zeiten erinnert noch das Clubbüro, das von gewaltigen Bücherwänden und Textsammlungen umgeben ist und den Eindruck erweckt, hier würden ständig kulturpolitische Debatten stattfinden. Aber das passiert kaum noch. „Wenn wir diskutieren“, so Noack, „dann meistens über Getränkepreise oder wie man eine Veranstaltung finanziert, die eigentlich kein Geld abwirft.“

Dass trotzdem immer wieder Leute auftreten, die zur Spitze der Improvisierte-Musik-Szene gehören, dafür sorgt vor allem der Schweizer Gregor Hotz. Der kümmert sich um die Konzertreihe „Biegungen“ und ist selbst Musiker: „Wir können nicht mit Geld locken und haben bisher immer Glück gehabt, dass die Musiker Lust hatten, in so einem Raum aufzutreten.“ Hier darf man auch mal scheitern. Der Schallschutz ist gut genug.

Ausland, Lychener Str. 60, Prenzlauer Berg, www.ausland-berlin.de

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