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Kultur: Musik in Berlin: Ein logischer Vortrag, gut gebaut

Worauf ein Dirigent in Bruckners Vierter hinauswill, muss er gleich in der ersten Minute verraten. Sobald über dem weichen Streichertremolo der berühmte Hornruf ertönt, weiß man, ob er es mit den stimmungsmalenden Gefühlsromantikern oder mit den kühlköpfigen Motivforschern hält.

Worauf ein Dirigent in Bruckners Vierter hinauswill, muss er gleich in der ersten Minute verraten. Sobald über dem weichen Streichertremolo der berühmte Hornruf ertönt, weiß man, ob er es mit den stimmungsmalenden Gefühlsromantikern oder mit den kühlköpfigen Motivforschern hält. Bei seiner "Romantischen" mit dem Deutschen Symphonie-Orchester stellt Gewandhaus-Kapellmeister Herbert Blomstedt das Thema des Kopfsatzes in demonstrativ lakonischem Mezzoforte vor. Als zentralen Motivbaustein, der wie eine Vortragsthese erst einmal in schmuckloser Deutlichkeit präsentiert werden muss. Um anschließend, wie in jedem gut aufgebauten Vortrag, immer wieder berührt zu werden und am Ende zum logisch einleuchtenden Schluss zu finden. Der 73-jährige Blomstedt beherrscht diese Rhetorik mit einer Selbstverständlichkeit wie nur wenige Dirigenten. Weder läßt er sich aus der Ruhe bringen, noch gerät er jemals ins Stocken, jedes Detail bekommt seinen Platz zugewiesen und die Brucknerschen Wiederholungen erfüllen ihren Sinn als didaktische Kunstgriffe. Hatte DSO-Chef Kent Nagano vor einem Monat anhand der Fünften noch einen ganz anderen, disparaten Bruckner präsentiert, der verbissen versucht, seine romantische Empfindungswelt in die sinfonische Form zu pressen, ist bei Blomstedt wieder alles im Lot formaler Schlüssigkeit. Die Tanz-, Choral-, und Naturschilderungsepisoden der "Romantischen" halten dabei als anschauliche Fallbeispiele für das Grundthema seiner Bruckner-Lektion her: dem Verhältnis zwischen dem retardierenden Streicher- und dem dynamischen Bläserprinzip. Klar trennt Blomstedt die Stimmen und vermeidet mystischen Mischklang - ohne jedoch den Klang bis zur Anämie auszudünnen und Bruckner zum bloßen Kopf-Erlebnis zu machen. Dem interpretatorischen Understatement-Ereignis war in der Philharmonie ein Stück kompositorischen Understatements vorgeschaltet: Haydns einzige Sinfonia concertante ist wenig mehr als ein orchestergepolstertes Divertimento weit unter dem Niveau der Sinfonien und erfüllte diesmal hauptsächlich die Funktion, den Abend auf Live-Übertragungslänge zu strecken. Und lenkte vom Bruckner wenigstens nicht ab.

Jörg Königsdorf

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