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Kultur: Musik in Berlin: Nimm den Schemel! Daniel Barenboims Klavierabend bei den Festtagen der Staatsoper

Wie macht der Mann das bloß? Gestern noch hat Daniel Barenboim mit seiner Staatskapelle in Verdis Requiem das Jüngste Gericht heraufbeschworen, heute sitzt er in der Philharmonie am Flügel und träumt sich hinein in Liszts "Tre Sonetti del Petrarca".

Wie macht der Mann das bloß? Gestern noch hat Daniel Barenboim mit seiner Staatskapelle in Verdis Requiem das Jüngste Gericht heraufbeschworen, heute sitzt er in der Philharmonie am Flügel und träumt sich hinein in Liszts "Tre Sonetti del Petrarca". Anhand der drei kurzen Stücke aus dem Zyklus "Années de Pelerinage" demonstriert der Maestro seine Stärken: differenzierte Tongebung, perfekt ausgefeilte Übergänge und atemberaubende Pianissimo-Passagen. Wie sehr sich Barenboim in die Gefühlswelt des Komponisten hineinversetzt, ist seiner Interpretation unmittelbar abzulauschen.

Die Leichtigkeit hingegen von Mozarts Klaviersonate Nr.10 C-Dur, die den Auftakt zu einem zweieinhalbstündigen Klavierabend bildet, macht ihm da weitaus mehr zu schaffen. Hier vermisst man zuweilen die nötige rhythmische Konsistenz, die Virtuosität der Ecksätze geht häufig zulasten der Präzision, die schnellen Läufe klingen verwaschen und nicht akkurat ausgespielt. Auch hier manifestiert sich die Meisterschaft des Pianisten vor allem in den lyrischen Passagen, insbesondere in dem zauberhaften andante cantabile in f-Moll, dessen Tragik sich in der Schlusswendung nach F-Dur im zarten Pianissimo auflöst.

Mit Beethovens "Appassionata" zeigt sich Barenboim in seinem Element. Die Sprengung der klassischen Form, die leidenschaftlichen Gefühlsausbrüche, die prometheische Unbändigkeit dieses Werkes werden hier hart an der Grenze zum Brachialen zelebriert, die Übersteigerung des musikalischen und pianistischen Anspruchs schonungslos offengelegt. Nach der Pause ist Barenboim dann bei Franz Liszt und somit ganz bei sich und der Musik angelangt. In den abschließenden Verdi-Paraphrasen gibt es kein Halten mehr; ausgeschmückt mit impressionistisch perlenden Arpeggien und chromatischen Läufen erklingen die allseits bekannten Themen aus "Aida" und "Rigoletto" in kaum zu überbietender Virtuosität. Das Publikum feiert seinen Liebling mit Standing Ovations, der Gentleman verbeugt sich und genießt. Nach der fünften Zugabe aber schließt er den Klavierdeckel und nimmt seinen Schemel mit in die Garderobe.

Hagen Kohn

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