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Kultur: Musik in Berlin: Weckruf für den toten Giganten

"Die Toten steigen aus ihren Gräbern hervor, und in einem gigantischen Taumel bricht die Welt zusammen." Mit diesen Worten unschreibt Berlioz die Musik, die er aus seiner unvollendeten Oper "Der letzte Tag der Welt" in das "Tuba Mirum" seiner gewaltigen Totenmesse übernommen hat.

"Die Toten steigen aus ihren Gräbern hervor, und in einem gigantischen Taumel bricht die Welt zusammen." Mit diesen Worten unschreibt Berlioz die Musik, die er aus seiner unvollendeten Oper "Der letzte Tag der Welt" in das "Tuba Mirum" seiner gewaltigen Totenmesse übernommen hat. Die "Grande Messe des Morts" op. 5 erwies sich in der von Eliahu Inbal geleiteten Karfreitagsaufführung im Konzerthaus in der Tat als ein "gigantischer Taumel", der jedoch nicht jedem, der bei dem Thema Totenmesse an Mozart, Verdi oder Britten denkt, ein ergreifendes, gar herausfordernd aktuelles Erlebnis gebracht haben dürfte. Erstaunlich ist an dem 1837 im Pariser Invalidendom uraufgeführten Werk zunächst schon die sagenhafte Besetzung mit einem Hunderte Sänger und Instrumentalisten umfassenden Chor und Orchester (mit allein sechzehn Pauken!) und vier zusätzlich im Raum verteilten Fernorchestern mit Trompeten, Pauken und Tuben, die eine geradezu quadrofone Raumklangwirkung hervorrufen und den Bildern der Totenklage, des Jüngsten Gerichts, des Weltuntergangs, der Mahnung starke theatrtalische Akzente verleihen. Das "Tuba mirum" und "Lacrymosa" erscheinen als die dramatischen Gipfelpunkte, die von einer kompositorischen Überdimensionalität beziehungsweise einer musikalischen Ungeheuerlichkeit sondergleichen sind.

Doch sind gerade die monströsen Sätze nicht die am meisten bewegenden, denn sie weisen manche flachen und flüchtigen Züge auf. Die außergewöhnliche Quantität erzeugt nicht immer außergewöhnliche Betroffenheit. Jedoch gibt es auch weniger monumentale, sogar auffallend asketische Sätze von einer fast modernen Einfachheit und Aussparung: das a cappella gesungene, still im Raum schwebende "Quaerens me" oder das "Hostias" mit den geheimnnisvollen Akkorden von hohen Flöten und in tiefste Tiefen vordringenden Posaunen. Eliahu Inbal präsentiert eine imposant gestaffelte Aufführung. Das Berliner Sinfonie-Orchester, der Berliner Rundfunkchor und der Prager Philharmonische Chor beeindrucken mit einem unerhört reichen, bisweilen bis an die Schmerzgrenze vordringenden Klangvolumen. Das Sanctus wird von Keith Lewis mit respektabler Klangenergie gesungen. Aber in heilsame Unruhe versetzt das gigantische Totengedenken nicht.

Eckart Schwinger

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