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Peking-Punks

© Matthew Niederhauser

Musik: Ist das hier wirklich China?

Süß, denkt man erst. Chinesen spielen Punk. Doch dann dämmert es - hier ist vielleicht etwas Größeres im Gange: "Fucking Olympics!" Die Pekinger Punk-Szene hat den Protest entdeckt.

Hier sind die Regeln: Gitarre, Schlagzeug, Bass, Gesang, höchstens fünf Minuten lang. Funktioniert immer. Egal wo.

Freitag, kurz nach Mitternacht, eine restaurantgesäumte Straße im Pekinger Zentralbezirk Dongcheng. Während die letzten Gäste angeschickert Richtung Taxistand stolpern, rollen Kellnerinnen aus der Provinz ihre Schlafmatten auf den abgeräumten Esstischen aus. Wieder ist eine Nacht vorbei in der großen Glücksrittermetropole Peking, mit ihren unbegrenzten Möglichkeiten des Geldverdienens, für die einen, und des Geldausgebens, für die anderen.

Bian Yuan hat kein Geld, Bian Yuan braucht kein Geld, und seine Nacht fängt gerade erst an. Bian Yuan trägt roten Samt und weiße Rüschen, zerknittert, zerschlissen nach Maß. Bian Yuan sitzt auf dem Bürgersteig und spielt Mundharmonika, das Haar hängt ihm wirr um die Schultern, die Leute gucken, er weiß es. Wo ist dein Zuhause, Bian Yuan? „Mal hier, mal da.“ Wo siehst du dich in zehn Jahren? „In Afrika. Auf einem Schiff. Im Dschungel.“

Eine Stahltür öffnet sich, dröhnende Vierviertelrhythmen verschlucken das Wimmern der Mundharmonika. Drinnen im „Mao Livehouse“ endet gerade der Auftritt der letzten Vorband, vier Jungs mit monströs auftoupierten Mad-MaxFrisuren prügeln apokalyptischen Punk aus ihren Instrumenten. „Fucking Olympics!“, brüllt der Sänger. „Not my games!“ Wildes Gerempel vor der Bühne, tätowierte Körper klatschen aneinander, Einzelne lassen sich von den Boxentürmen in die Menge fallen und auf Händen durch den Saal tragen. Augenreiben. Ist das hier wirklich China?

Es ist weit nach Mitternacht, als Bian Yuan mit seiner Band Joyside die Bühne betritt, den Blick nach innen gekehrt, als nähme er den Willkommensjubel des Publikums gar nicht wahr. Die Gitarre setzt ein, das Schlagzeug, der Bass, zuletzt Bian Yuans Gesang, ein raues Flüstern, das sich steigert zu heiserem Geschrei. Das Publikum tobt.

Augenreiben. Nicht ganz leicht, das China hier drinnen mit dem China da draußen in Einklang zu bringen. Da draußen jagt eine unfassbar ehrgeizige Jugend dem Traum vom großen Geld hinterher, oder vom kleinen Geld, je nachdem, wo man anfängt. Da draußen drillen Eltern ihre Kinder von der Krippe weg auf Karriere, da wird im Kindergarten Englisch gelernt und in der Grundschule Management, da wird das Teenagerleben der Vorbereitung auf die Uni-Prüfung geopfert, da verlassen Studenten den Campus höchstens zum Einkaufen.

Und hier drinnen? Singt ein Dandy, der bei wechselnden Freundinnen lebt und für Geld keinen Finger krumm macht, einem eingeschworenen Publikum das alte, neue Lied von Sex und Drogen und Rock’n’Roll. „Die Leute halten uns für Spinner.“ Bian Yuan lacht ein heiseres Spinnerlachen. „Macht nichts, wir halten sie auch für Spinner. Unser Leben ist das wahre Leben.“

Noch spielt sich dieses Leben in ziemlich überschaubarem Rahmen ab. Die Szene beschränkt sich auf ein halbes Dutzend Clubs in Peking, und wer ein paar Konzerte gesehen hat, kennt auch im Publikum die meisten Gesichter. Viele Ausländer sind darunter, junge Europäer und Amerikaner, ein paar hundert Chinesen, größtenteils Studenten. Rock ist ein Randphänomen in China, aber ein rasant wachsendes. Unzählige Gitarrenbands sind in den letzten drei Jahren in Peking entstanden, und inzwischen decken sie ein irrwitziges Spektrum westlicher Nischengenres ab: Es gibt Surf-Punk-Bands und Oi-Punk-Bands, es gibt Hardcore- und Grindcore-Bands, es gibt Garagenpunk britischer und amerikanischer Schule, es gibt Girl-Punk, Glam-Punk, Neo-Punk, Post-Punk, Goth-Punk, Noise-Punk und New-Wave-Punk.

Wer diesem Stilgewitter zum ersten Mal ausgesetzt ist, kann kaum fassen, mit welch akribischer Liebe zum Detail hier der Fundus westlicher Subkulturen geplündert wird. So virtuos, wie Pekings Punks die musikalischen Stile ihrer Vorbilder ausweiden, bedienen sie sich auch aus 50 Jahren textiler Rock’n’Roll-Geschichte: Perfekt sitzt jeder Karo-Hosenträger, jede Röhrenjeans, jeder Block-Pony. Selbst die Bühnengestik ist bei den Helden der Szene von einer Wut, Erotik und Euphorie beseelt, die man im Westen nur selten so authentisch erlebt hat, wie sie in China raubkopiert wird.

Süß, denkt man erst. Chinesen spielen Punk. Gut geklaut ist halb gewonnen.

Erst wer eine Weile hingesehen hat, dem dämmert, dass hier vielleicht doch etwas Größeres im Gange ist als eine Art kuriose Vertonung der globalen Urheberrechtsdebatte. Vor Jahren deutete sich in Japan schon einmal eine Art Revolution des Rock aus dem Geiste der Raubkopie an, die sich dort jedoch bald in postmoderner Zitierwut erschöpfte. Könnte mit China nun das Land auf den Plan getreten sein, das auch den sozialen Nährboden für eine solche Stilrevolte bietet? In dem Punk wieder für Protest steht – oder zumindest für dessen ästhetische Geste?

Man muss so weit nicht gehen, um zu erkennen, dass hier aus vielen Versatzstücken ein Ganzes entsteht, das größer werden könnte als die Summe seiner Teile. An Kronzeugen für diese These mangelt es nicht. Blixa Bargeld, Kopf der Einstürzenden Neubauten und Teilzeit-Pekinger, beteuert seit Jahren, Peking heute sei wie Berlin in den Achtzigern. Martin Atkins, Produzent des Chicagoer Indie-Labels Invisible Records, nahm im vergangenen Herbst acht Pekinger Bands unter Vertrag, darunter das Dance-Rock-Trio Snapline und die Hardcore-Band Subs. Michael Pettis, ein 50-jähriger Wall-Street-Makler, der früher in New York den Indie-Club „Sin“ betrieb, gründete vor zwei Jahren im Studentenbezirk Haidian das „D-22“, das inzwischen zum Nukleus der Pekinger Bandszene geworden ist. Fast täglich steht Pettis hier persönlich hinter der Bar und versichert jedem Besucher, dass in China gerade „etwas ganz, ganz Großes“ im Gange ist.

Im „Mao Livehouse“ beginnt derweil der Auftritt einer Band, die westlichen Rock mit traditioneller chinesischer Musik verbindet. „Das ist für die Ausländer, die mögen so was“, sagt ein Punk-Gitarrist, dessen Band später auftritt. „Wir nicht.“ Tatsächlich leert sich der Saal merklich, während drei Jungs auf der Bühne mit computergenerierten Folklore-Klängen experimentieren. Man könnte es Weltmusik nennen. Den Ausländern gefällt’s. So anders. So exotisch.

Was zeichnet eine chinesische Rockband aus? Yang Haisong, 32, Sänger des Indie-Quartetts PK14: „Wir sind keine chinesische Rockband. Wir sind eine Rockband. Wer in einer internationalen Metropole wie Peking lebt, denkt und fühlt wie die Menschen in New York, London, Tokio oder Berlin. Wir sind Teil der weltweiten Rock-Familie.“

Was ist dann überhaupt chinesisch an euch? Shou Wang, 22, Sänger des Punk-Trios Carsick Cars und Kopf der von Blixa Bargeld produzierten Noise-Band White: „Unsere Musik entsteht hier, unsere Texte entstehen hier. Ist das chinesisch genug?“

Warum singen viele von euch auf Englisch? Bian Yuan, 30, Sänger von Joyside: „Ist besser zum Singen. Besser für Gefühle. Besser für Rock.“

Warum spielt ihr keine chinesische Musik? Yang Haisong: „Spielen deutsche Bands Beethoven?“

Macht ihr Musik für Menschen, die vergessen wollen, dass sie in China leben? Bian Yuan: „Wir machen Musik für Menschen, die vergessen wollen, auf welchem Planeten sie leben.“

Dass dieser Planet ein paar mehr Ecken und Winkel hat, als man im Westen wahrzunehmen gewohnt ist, gehört zu den Erkenntnissen, mit denen heute Nacht mehr als ein Ausländer das „Mao Livehouse“ verlassen dürfte. Xiao Hong, der Gitarrist von Joyside, verabschiedet sich grinsend, er trägt ein abgewetztes Bruce-Springsteen-T-Shirt, das offenbar in China entworfen wurde: „Sppingsteen“ steht unter dem Konterfei des US-Sängers. „Wieso falsch?“, fragt Xiao Hong. „Bruce wer? Ist der Typ bekannt? Ich fand bloß das Gesicht cool.“

Musik von chinesischen Bands wird in Deutschland vom Berliner Label Fly Fast Records vertrieben (www.fly-fast-records.com). Gerade ist das Album „Poptastic Conversation“ erschienen (Joyside, PK14, Carsick Cars u.a. singen ihre Songs auf Deutsch, die Ärzte, Wir sind Helden, Die Sterne u.a. singen ihre Songs auf Chinesisch) sowie auf DVD die Doku „Beijing Bubbles“ über Pekings Musikszene.

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