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Kultur: Musikbotschafter der ganzen Nation

Das Orchester hat sich in den letzten Jahren stark verjüngt. Jetzt will es sich reformieren.

Das Orchester hat sich in den letzten Jahren stark verjüngt. Jetzt will es sich reformieren. Dazu aber braucht es den BundFrederik Hanssen

West-Berliner hatten immer ein eigenes Verhältnis zum Bund. Schließlich musste man als Frontstadt-Sohn da gar nicht hin. Die Frage "Wo haben Sie gedient?" erübrigte sich durch das Vorzeigen des "behelfsmäßigen" Personalausweises. Und wer drüben im freien Westen nichts vom Bund nichts wissen wollte, kam in die Vier-Mächte-Stadt. Die lokale Off-Szene profitierte mächtig davon. Sein Image als junge, bewegte Stadt hat Berlin zu nicht geringen Teilen dem Privileg der Wehrdienstbefreiung zu verdanken.

Kein Wunder also, dass viele West-Berliner verstört reagierten, als sich jüngst ausgerechnet die Musiker des Berliner Philharmonischen Orchesters freiwillig zum Bund meldeten. Brave Bürger mutierten zu Totalverweigerern und riefen: "Unsere besten Jungs sollen sie nicht haben!" Schließlich sei in den Jahren der Teilung Hans Scharouns geniales Philharmonie-Gebäude direkt am Todesstreifen zum Symbol unseres kulturellen Durchhaltewillens geworden. Zusammen mit der Deutschen Oper standen die Philharmoniker ganz vorne im Schaufenster gen Osten, als Berliner Preziosen wurden sie um die Welt gereicht. Und dieses Tafelsilber sollen wir Michael Naumann kampflos übergeben? Dann soll er auch das chronisch unterfinanzierte Opernhaus übernehmen!

"Was jetzt in erster Linie not tut, ist eine Entemotionalisierung der Angelegenheit", wünscht sich Peter Riegelbauer vom Orchestervorstand des Berliner Philharmonischen Orchesters. "Es handelt sich hier doch nicht um eine Entscheidung gegen das Berliner Publikum. Im Gegenteil: Dass der Bund eine stärkere Verantwortung gegenüber den Philharmonikern eingeht, beschneidet weder die Präsenz der Musiker in Berlin noch das Mitspracherecht der Stadt. Wenn wir wie geplant das Orchester in eine Stiftung des öffentlichen Rechts umwandeln, wäre das Land Berlin selbstverständlich im Stiftungstrat vertreten", erläutert Riegelbauer.

Warum wacht Berlin erst jetzt auf?

Doch auch wenn sich die Philharmoniker unzweideutig zu ihrem Arbeitsplatz Berlin bekennen - diejenigen, die nun im Senat am lautesten gegen eine 100-prozentige Finanzierung des Orchesters durch den Bund wettern, müssen sich ein paar Fragen gefallen lassen: Zum Beispiel, warum sie erst in dem Moment die Unverzichtbarkeit der Philharmoniker für die städtische Kulturlandschaft entdeckten, als die Musiker beim Kulturstaatsminister anklopften. Schließlich hatte das Orchester den lokalen Autoritäten häufig genug seine Probleme geschildert. Doch weder der Wunsch nach einer Reform der Rechtsform noch beängstigende Abwanderungsbewegungen in Richtung Musikhochschulen ließen den zuständigen Senator aktiv werden. Dass das Hauptargument der Staatsorchester-Gegner jetzt lautet, Berlin dürfe die Kulturinstitution mit dem höchsten Eigenfinanzierungsgrad keinesfalls aus der Hand geben, passt in diese Denkweise.

Dabei geht es um viel mehr: Unter anderem darum, dass Simon Rattle, der designierte Nachfolger Claudio Abbados als Chefdirigent, seinen Vertrag endlich unterzeichnet. "Ich befürchte, das wird er nur tun, wenn die dringend nötige Reform garantiert kommt", warnt Orchestervorstand Peter Riegelbauer. Das Doppelleben der Musiker ist einfach nicht mehr zeitgemäß: einerseits als lokale Behörde - das Berliner Philharmonische Orchester -, dessen Intendant vom Kultursenator per Dienstanweisung gezwungen werden kann, Konzerte mit den Scorpions zu veranstalten, andereseits als privates Unternehmen - die Berliner Philharmoniker -, in dem die Musiker in ihrer Freizeit zum eigenen Profit Schallplatten einspielen. Ebensowenig wie die Tatsache, dass das Orchester quasi keinen Einfluss darauf hat, wer in den Philharmonie-Sälen auftritt. Eigene Programmlinien entwickeln kann aber nur der, der auch einen "Bespielungs"-Etat hat. Außerdem müssen endlich die bürokratischen Hürden fallen, die bislang verhinderten, dass das wunderbare Gebäude zu einem echten, auch tagsüber belebten Treffpunkt werden konnte.

Die Idee mit der Philharmoniker-Stiftung wurde also keineswegs aus Hochnäsigkeit geboren, weil man sich für das einzige Orchester hält, dass den deutschen Staat würdig im Ausland repräsentieren kann, sondern weil man sich aus dem Korsett bürokratischer Arbeitsabläufe befreien will. Und das geht nach Meinung des Orchesters einfach besser, indem man einen klaren Schnitt macht und zu einem anderen Träger wechselt. Die Verbindung mit dem Bund ist aber auch noch aus einem anderen Grund für Riegelbauer eine "salomonische Lösung". Sollte sich Berlin tatsächlich dazu durchringen, den Philharmonikern die nötige Freiheit und die zwangsläufig damit verbundene Etataufstockung zu gewähren - wie würden die anderen Klassik-Institutionen reagieren: Daniel Barenboims Staatskapelle, die der Maestro für unterbezahlt hält, die Deutsche Oper, die penibel auf Gleichbehandlung mit der Staatsoper pocht, das Deutsche Symphonie-Orchester, das sich durch die Ernennung von Kent Nagano zum Chefdirigenten im Aufwind sieht?

Um diesem altberliner Proporzdenken zu entkommen, scheint es nur sinnvoll, das Philharmonische Orchester aus dem löchrigen städtischen Kulturetat herauszulösen. Im Ausland will sowieso keiner glauben, dass es sich um eine städtische Einrichtung handelt. Dort gilt es längst als Staatsorchester, als ein von Berlin aus operierender Musikbotschafter der ganzen Nation. "Nach der Verjüngung des Orchesters in den letzten zehn Jahren ist die Entwicklung einer zeitgemäßen Organisationsstruktur jetzt der zwingende zweite Schritt", betont Riegelbauer. Diesem Orchester den Aufbruch in die Zukunft aus falsch verstandenem Lokalpatriotismus zu verweigern, wäre fatal.

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