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Gern mysteriös. Christopher „Toph“ Taylor alias Sohn.

© Amelia Troubridge/4AD

Musiker Sohn: Niemand schneidet mir die Kehle durch wie du

Düstere Klagelieder: Der britische Post-Dubstep-Songwriter Sohn und sein Debütalbum „Tremors“.

Es muss nicht immer Berlin sein. Man kann als europäischer Musiker auf Freiraumsuche auch einfach mal nach Wien ziehen. So wie Christopher „Toph“ Taylor, der vor rund vier Jahren aus London in die österreichische Hauptstadt kam, weil er dort ein paar Musiker kannte und ihm die Idee gefiel, die Sprache seiner Umgebung nicht zu beherrschen – ideal zur Verstärkung seiner Außenseitergefühle. Ein bisschen Deutsch kann Taylor offenbar doch, denn er nennt sich seit einer Weile Sohn. Klingt für englische Ohren sicher schön geheimnisvoll.

Überhaupt gibt sich der 34-Jährige gern ein bisschen mysteriös. Als seine ersten Sohn-Songs und Remixe im Netz kursierten, war kaum etwas über den Mann dahinter herauszufinden. Nur ein paar schemenhafte Fotos gab es von ihm. Bei Interviews mag er seinen bürgerlichen Namen bis heute nicht verraten. Doch es gibt ja das Internet, und das vergisst bekanntlich fast nichts. Auch nicht Taylors erste Popkarriere unter dem Namen Trouble Over Tokyo. Gegründet 2005 als vierköpfige Band, verwandelte sich Trouble Over Tokyo bald in sein Soloprojekt, mit dem er bis 2012 drei Alben und eine EP veröffentlichte. Angesichts der Aufgeblasenheit seines damaligen Indietronic-Sounds ist es nachvollziehbar, dass er sich davon distanzieren möchte. Er setzt sich zudem von seinem früheren Look ab – wasserstoffblonde Haare, Hornbrille – und zeigt sich jetzt gern mit einer mönchshaften Mütze- Schal-Kombination und ohne Brille.

Sohn ist also ein Relaunch unter neuem Namen. Wogegen natürlich nichts einzuwenden ist. Gab’s schließlich schon öfter, zuletzt erfolgreich von Lana Del Rey (vormals Lizzy Grant) vorgemacht. Und genau wie sie hat Taylor bei seiner Neuerfindung musikalisch einen großen Sprung nach vorn gemacht. Entschleunigung und Reduktion sind dabei seine Leitprinzipien. Mit äußerster Behutsamkeit schichtet er auf seinem am Freitag erscheinenden Debütalbum „Tremors“ die Synthesizerschichten übereinander, lässt sich schon mal eineinhalb Minuten Zeit bis er den ersten Beat abfährt und legt viel Wert auf Zwischenräume. Im Vordergrund steht stets seine gern ins Falsett aufsteigende Stimme, die er immer wieder zerhäckselt, vervielfacht, mit Echos und Hall verfremdet – womit er voll im anhaltenden Trend zum Vokaleffekt liegt.

Sohn ist von James Blake beeinflusst

Wegen seines hohen, klagenden Gesangsvortrags und der Post-Dubstep-Anmutung seiner Songs erinnert Sohn an seinen britischen Kollegen James Blake. Bei aller Innerlichkeit und Zerbrechlichkeit, die Sohns Lieder mit denen von Blake teilen mögen, bleiben sie jedoch stets durchschaubarer und weniger abgründig als dessen Kompositionen. Sohn scheut sich nicht, so wie in „Artifice“, einfach mal einen geraden Pop-Weg einzuschlagen und gleich zu Beginn eine infektiöse Synthie-Hookline einzuführen. Oder er traut sich, in „Veto“ einen Refrain von fast schon klebriger Süße zu singen. Immer wieder gelingen ihm auch Momente anrührender R’n’B-Sensibilität, worin er seinem Freund Jamie Woon ähnelt. Besonders gut zeigt das der Song „Paralysed“, in dem er zu einem verhallten Klavier und ein bisschen Geknister singt: „Nobody can slit my throat/Nobody can leave me/Lying by the side of the road/Like you can“. Ein Geräusch, das dem Durchladen einer Waffe ähnelt, bringt noch etwas Extra-Drama in die Sache. Was eigentlich nicht nötig ist.

Die Grenze zur Überakzentuierung streift Sohn noch ein paarmal, etwa bei „Bloodflows“, das er aus sehr sanften Regionen in ein wüstes Crescendo überführt. Als habe er kein Vertrauen in die zentralen Zeilen „’Cause my love, my love/My love don’t love me“, die in ihrer fehlerhaften Grammatik bereits eine spannungsreiche Doppeldeutigkeit erzeugen. Perfekt ausbalanciert ist hingegen „The Wheel“. Darin setzt Sohn gesampelte „Ahs“ und „Ohs“ zu einem Stotterrhytmus zusammen, fügt Klackerbeats und einen brummenden Basssynthie hinzu, um dann über seinen letzten Atemzug zu singen. Der instrumentale Mittelteil, in dem auch verfremdete Akustikgitarren in den Dreivierteltakt einfallen, symbolisiert in seinem Auf-der-Stelle-Kreiseln das zuvor im Text beschriebene sinnlose Streben nach der Neuerfindung des Rades. Schöne Idee – vielleicht sogar von der Walzerstadt Wien inspiriert.

„Tremors“ erscheint am 4.4. bei 4 AD. Konzert: Heimathafen Neukölln, 13. April

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