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Musikfest Berlin: Andris Nelsons: Sieger aus Riga

Der Lette Andris Nelsons wurde schon mit 24 Jahren Chefdirigent der Nationaloper Riga. Auch beim Musikfest Berlin beweist er sein außergewöhnliches Talent - und lässt sogar die Moderne unterhaltsam klingen.

Seine außergewöhnliche Musikalität ist Andris Nelsons bei jeder Bewegung anzusehen. Bevor er im zarten Alter von 24 Jahren Chefdirigent der Nationaloper Riga wurde, hatte er bereits erfolgreich eine professionelle Trompeter- wie auch Sängerkarriere gestartet. Seit vergangenem Herbst leitet Nelsons nun das City of Birmingham Symphony Orchestra, jenes Ensemble, mit dem einst Sir Simon Rattle berühmt geworden ist. Und so ist es natürlich etwas ganz besonderes, wenn der 31-jährige Lette und die Briten als Gäste des Musikfests Berlin in der Philharmonie auftreten.

Kaum steht Nelsons auf dem Podium, durchströmt die Musik seinen ganzen Körper, mit der geschmeidigen Beredsamkeit eines Ausdruckstänzers sendet er seine Signale ins Orchester, federt in den Knien, knetet die Luft mit den Händen, lässt den Taktstock von der Rechten in die Linke wandern, um sich mal dieser, mal jener Instrumentengruppe besser verständlich machen zu können. Es ist ein ungemein präsenter, quecksilbriger Sound, den Nelsons so entfesselt, ein Klang, der die Zuhörer geradezu anzuspringen scheint.

Das anspruchsvolle Programm mit Werken ausschließlich aus dem 20. und 21. Jahrhundert gerät durch diesen ganz aufs Theatralische fokussierten Zugriff verblüffend unterhaltsam: In Benjamin Brittens „Sea Interludes“ aus der Oper „Peter Grimes“ wird die Macht der Naturgewalten spürbar, suggestiv und packend wie bei einer gelungenen Filmmusik. Mark-Anthony Turnages 2004 entstandenes Trompetenkonzert strahlt echte, großstädtische Coolness aus, mit treibenden Rhythmen, Dolby-Surround- Effekten der vier über die Bühne verteilten kleinen Trommeln und vor allem einem Solisten, der im Wechsel zwischen Flügelhorn und Piccolotrompete den rauchigen Glanz der großen Jazzer perfekt trifft. Für den Jubel bedankt sich Hakan Hardenberger mit Astor Piazzollas „Oblivion“ in einer vollendet eleganten Lounge-Version.

Eine vom Schicksal zur Camouflage, zur Doppelgesichtigkeit gezwungene Seele wie die Dmitri Schostakowitschs lässt sich mit Andris Nelsons’ Technik der maximalen klanglichen Plastizität allerdings nur an der Oberfläche beleuchten. Die 1. Suite für Jazzorchester bleibt hübsche Tanzkapellenkost, weil es dem Dirigenten noch nicht gelingt, den satirischen Blick auf kapitalistische Dekadenz untergründig mitschwingen zu lassen. Und auf die vielen Fragen, die Schostakowitsch 1939 mit seiner sechsten Sinfonie aufwirft, fallen Nelsons eher plakative Antworten ein, vor allem im galoppierenden Finale. Es wäre aber auch wirklich beunruhigend, wenn dieser Hochbegabte nicht noch ein wenig Entwicklungspotenzial hätte!

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