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Stefan Dohr bei seinem Auftritt in der Philharmonie.

© Kai Bienert

Musikfest Berlin: Tag des Horns

Sonntagmusiken: Das London Symphony Orchestra und das Mahler Chamber Orchestra zu Gast beim Musikfest.

Zahllose Solistenkonzerte entstanden im 19. Jahrhundert, viele Werke für zwei Virtuosen und auch so manches Tripelkonzert. In seiner Quadrupel-Form allerdings dürfte Robert Schumanns „Konzertstück für vier Hörner“ einmalig sein. Die Komposition von 1848 ist eigentlich ein 30-minütiger Werbespot für eine technische Neuerung: für jene Ventilmechanik nämlich, die es den zuvor auf die Naturtöne beschränkten Blechbläsern endlich ermöglichte, durchgängig chromatisch zu spielen.

„Chroma“ heißt auf Altgriechisch „Farbe“ – und die vier Schumann-Solisten reizen tatsächlich meisterhaft die gesamte Klangfarbenpalette des modernen Horns aus, mit brillanten Läufen, serenadenhaften Melodien, effektvollen Echospielereien, mit waldschattigem Raunen und traditionellem Signalgeschmetter. Vor allem aber beweisen Radovan Vlatkovic, einst Mitglied des DSO, sowie Timothy Jones, Angela Barnes und Jonathan Lipton vom London Symphony Orchestra in der Philharmonie kaltes Blut beim Bedienen ihrer heiklen Instrumente. Gemäß dem alten Musiker-Bonmot: Das Horn ist ein göttliches Instrument – du kannst noch so wunderschön hineinblasen, was vorn herauskommt, weiß allein der da oben.

John Elito Gardiner lässt die Jolle durch die Gischt schießen

Zu den Unfehlbaren der Alte-Musik-Szene zählt zweifellos Sir John Eliot Gardiner, Gründer des Monteverdi Choir, der English Barock Soloists wie des Orchestre Révolutionnaire et Romantique. Gerne arbeitet er aber auch mit modernen Orchestern wie dem London Symphony, bereichert ihr Spiel durch seine Expertise in musikalischer Rhetorik. Die Atmosphäre des unfreiwilligen Abwartens in Felix Mendelssohn Bartholdys „Meeresstille“ macht er in der Philharmonie ganz konkret musikalisch nachvollziehbar, im Wechsel von Anspannung und Entspannung, Dissonanz und harmonischer Auflösung. Und wenn dann der ersehnte Wind endlich mit dem lautmalerischen Flötenmotiv aufkommt, lässt er die Jolle durch die Gischt schießen, in fast unspielbarer Schnelligkeit und hochgradig beredter Tonsprache, bis im extrem lange gehaltenen Schluss-Pianissimo endlich der sichere Hafen erreicht ist.

Wie nachdrücklich Mendelssohn von seinem Lehrer Carl Friedrich Zelter in die traditionelle Tonsatzkunst eingeführt wurde, zeigt Gardiner in der „Reformations“-Sinfonie. Alle genialische Leichtigkeit des romantischen Wunderkindes gründet auf einem Fundament, das im Barock wurzelt: Eine feste Burg ist unser Bach. Wunderbar organisch entwickelt der Brite aus dieser Haltung heraus alle vier Sätze. Dafür wird er vom Publikum gefeiert, als wäre er Martin Luther persönlich – und das London Symphony Orchestra seine 95 Thesen. Frederik Hanssen

Stefan Dohr ist der Solist in Wolfgang Rihms Konzert für Horn und Orchester

Stefan Dohr bei seinem Auftritt in der Philharmonie.
Stefan Dohr bei seinem Auftritt in der Philharmonie.

© Kai Bienert

Die Kadenz „bei stillstehender Begleitung“, wie sie sich seit dem 18. Jahrhundert herausgebildet hat, gibt einem Solisten die Freiheit, mehr oder minder improvisatorisch seine Virtuosität vorzuführen. Sie ist ein Stück Verzierungskunst. Nicht so bei Wolfgang Rihm in seinem Konzert für Horn und Orchester (2014), dessen deutsche Erstaufführung Widmungsträger Stefan Dohr zum Musikfest beiträgt. Das ist die Überraschung, dass aus kulinarischer Orchestervielfalt im Dialog mit kraftvoller und singender Hornstimme eine seltsam introvertierte Kadenz hervorkommt. Sie betont die tiefste Tiefe des Instruments und setzt zwischen die leisen Töne nachdenkliche Pausen. So wird der ganzen Komposition, die auf Kantabilität und Schmettern im Zeichen der Romantik abgestellt ist, die Würze des Ungewöhnlichen beschert. Der Komponist und der Solohornist der Berliner Philharmoniker haben das Werk gemeinsam erdacht und sich gleichsam schüchtern zurückgezogen, als es um die Kadenz ging, eine freie Kadenz, die im Rahmen des Konzerts originell gelungen ist wie der unpathetische Schluss mit einem getupften Ton.

Eine Rarität ist auch der Aufbau des Programms, weil es im Kammermusiksaal der Philharmonie Chorgesang, Kammermusik und das Solokonzert aufeinander folgend im Zeichen des Hörnerklangs kombiniert. Mit Begleitung von zwei Hörnern und Harfe tragen die meisterhaften Sängerinnen des Rias-Kammerchors „Vier Gesänge“ für Frauenchor von Johannes Brahms vor. Nach zeitfühligem Geschmack hat der romantische Musiker Dichtungen von Friedrich Ruperti, Shakespeare, Eichendorff und aus Ossian, dem vermeintlichen gälischen Barden, gewählt. Florian Helgath als Gastdirigent modelliert die Musik ohne Manierismen, während an den Soloinstrumenten José Vicente Castelló, Sebastian Posch und Gael Gandino Naturstimmung feiern.

Sie sind Mitglieder des vormals von Claudio Abbado unterstützten Mahler Chamber Orchestra, das unter Leitung von Daniel Harding im dritten Jahr beim Musikfest mit seiner Farbpalette glänzt. Versteht sich, dass seine Solisten auch in Rihms Bläserquintett Melodien fortspinnen, winden, umschlingen oder gelegentlich ins Grelle entladen können. Wem das Geflecht des vielen instrumentalen Singens zu viel wird, der muss sich an dem kurzen Satz „Fetzen“ festhalten. Ein Unikat wie die Kadenz im Hornkonzert. Sybill Mahlke

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