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Ledermänner. Die Darsteller Wilfried Glatzeder, Willy deVille und Joschka Fischer 1985 am Set des Films „Va Banque“.

© Diethard Küster

Musiklegende DeVille: Willy wählen

Nirgends wurde der Sänger Willy DeVille so verehrt wie in Berlin. Nun setzt Regisseur Diethard Küster ihm ein DVD-Denkmal.

Er starb vor drei Jahren, aber sein Werk lebt weiter. „Willy DeVille: Still Alive“ heißt eine gerade erschienene DVD-Box, die den amerikanischen Musiker als einen der großen Performer des Rockzeitalters feiert. Zu sehen ist da – neben den Extras – ein sehr ruhiges, bluesstichig seelenvolles „Unplugged“-Konzert mit sparsamer Piano- und Kontrabassbegleitung in der Berliner Columbiahalle von 2002 sowie ein Auftritt im Metropol mit kompletter Band aus demselben Jahr. Alles sehr dicht und nah dran an DeVille, seinen Begleitern und seiner anrührenden, zwischen Blues, Soul und Doo-Wop oszillierenden Musik. Die Magie, die vom New Yorker Sänger ausging, scheint in Berlin immer besonders groß gewesen zu sein.

Gefilmt wurden die Konzerte vom Berliner Film- und Fernsehregisseur Diethard Küster, einem bekennenden DeVille-Fan. Sein Erweckungserlebnis: Ein Auftritt des R&B-Antistars im legendären Berliner Kant Kino 1977, dem Jahr, in dem sich William Borsey in das Rock-’n’-Roll-Reptil Willy DeVille verwandelte und sein Debütalbum veröffentlichte. Später wurden DeVille und Küster Freunde und blieben es bis zum Krebstod des Sängers im August 2009. Ein Besuch in Küsters Schöneberger Wohnung fördert Unmengen Erinnerungen zutage. Reminiszenzen an das alte West-Berlin, das Leben in der Mauerstadt der achtziger Jahre, wo es damals, wie Küster sagt, „ja fast nur Freaks und Rentner gab“. Aufbruch, Punk, New Wave, Kunst, Kino, Musik – und Willy DeVille.

„Den fanden damals alle cool. Mit seinem lässigen New Yorker Straßen-I mage“, erzählt Küster. „Mit den ludenhaften Anzügen, schmalen Schlipsen, spitzen Schuhen und nostalgischen Songs wie Spanish Stroll oder Cadillac Walk“. Ein Großstadtindianer, der zum Versöhner wurde. „Ja, es war wirklich so, die unterschiedlichsten Szenen, die Punks, die Anarchos, Hausbesetzer, Langhaarige, Kiffer, alte Rock ’n’ Roller und erstaunlicherweise sogar die damals recht humorlosen Kämpferinnen der Frauenbewegung – alle standen sie auf Willy, alle gingen sie in seine Konzerte.“

Willy DeVille stieg auf zur Verkörperung der Achse der Coolness zwischen New York und Berlin. So schien es naheliegend, dass Küster diesen romantischen Dandy, den Poser mit Charme 1985 in seinen ersten Spielfilm einbauen wollte. „Va Banque“ wurde zu einem unterhaltsamen Berlin-Film mit zeitgemäßer „Sponti“-Attitüde, eine Kriminalkomödie um den Überfall auf einen Geldtransporter, in der es kein Gut und Böse gibt, nicht viel Gerede, dafür viel „Szene“, Typen, Milieu und Musik.

Weil alles irgendwie zusammenhängt, ist Küster schon wieder bei einer anderen Geschichte, ein gutes Vierteljahrhundert später. „Irgendwann im letzten Sommer, auf meinem samstäglichen Weg zum Winterfeldtmarkt, sitzt da vor einem Café so ein Typ. Beine von sich gestreckt, ein bisschen zusammengesunken, Sonnenbrille, Baseballkappe tief in der Stirn. Auf einmal sagt der: Hallo Diethard! Ich guck den an, wie der da so sitzt, inkognito. Und ich sag: Mensch Joschka, du erinnerst dich noch? Sagt der: Natürlich! Hab neulich erst an dich gedacht, als ich etwas über Willy DeVille las.“

Als Joschka Fischer 1985 mit so illustren Typen wie Rio Reiser, Achim Reichel, Kevin Coyne und Willy DeVille in Küsters Film „Va Banque“ schauspielerte, war er noch nicht Außenminister, sondern noch cool und jung, er konnte das Geld gebrauchen. Fischer passte perfekt ins Bild als verschrobener und undurchsichtiger Taxifahrer. Küster schwebte für den kommenden Politstar die Rolle eines rätselhaften Sonderlings vor, „wie Bob Dylan in Pat Garret jagt Billy the Kid“, dem Spätwestern von Sam Peckinpah.

So spielte Joschka Fischer mitWilly DeVille Billard in der Szenekneipe „Alcatraz“ am Stuttgarter Platz, der Filmausschnitt gehört zu den Extras der DVD-Box. DeVille verkörpert in „Va Banque“ einen aasigen Billardhai. In einem 24 Seiten langen Interview im Booklet aus dem Jahr 2002 erzählt er, dass er keine Ahnung hatte, was aus seinem ehemaligen Filmpartner geworden war. Joschka Fischer habe ihn an den alten Rockabilly- Helden Gene Vincent und die Pomade-Rebellen seiner Begleitband The Blue Caps erinnert. Im Gegensatz zu Fischer entwickelte sich DeVilles Karriere eher zu einer Achterbahnfahrt. Mehr Abstürze als Triumphe, und ständig Ärger mit Managern und Plattenfirmen.

Wieder grinst Küster: „In Va Banque wollte ich Willy als abgezockten Billardspieler zeigen. Der Witz war aber, dass er gar nicht spielen konnte. Und ich hatte gedacht, ein Typ wie der, der muss doch Pool spielen können. Er hatte mir das auch vorher selbst versichert. Klar könne er das. Aber dann stellte sich raus, dass er überhaupt nicht spielen konnte.“

Immer wieder musste sich Diethard Küster etwas einfallen lassen. In einer der Umbaupausen waren plötzlich alle Leute vom Set verschwunden, Komparsen, Kostümbildnerin, alle weg. „Ich fand sie draußen vor der Tür vom Alcatraz auf dem Stutti. Und was war? Da saß Willy in seinem sauteuren Seidenanzug auf einer Kiste vor einem Müllcontainer, spielte Gitarre und sang. So vertrieb er sich die Zeit zwischen den Drehs. Und alle hörten ihm zu. Ich fand das auch toll. Aber als junger Regisseur hatte ich anderes im Kopf. Ich musste die Leute wieder reinholen.“

Zwölf Jahre später, 1997, arbeitete Küster wieder mit Willy DeVille zusammen. Der Film „Beautiful Losers“ wurde zu einem dichten, sehr persönlichen Porträt dreier Musiker, die nie bereit waren, sich den Erwartungen der Plattenindustrie anzupassen, und deren Karrieren immer wieder von Rückschlägen markiert waren: Leonard Cohen, Marianne Faithfull und Willy DeVille. Küster reiste dazu nach Picayune, in der Nähe von New Orleans, wo sich DeVille damals gerade eine kleine Pferderanch gekauft hatte. Und wie immer hatte der Sänger tolle Geschichten zu erzählen: über Pferde, Musik, das Leben on the road, Drogen, die Liebe. Und die niederschmetternde Erfahrung, wie 1980 all sein Herzblut in die Aufnahmen zu „Let Chat Bleu“ geflossen ist, die Plattenfirma das Album dann aber nicht veröffentlichen will. Für den Musiker eine Tragödie.

„Willy ist nicht nur ein toller Musiker, sondern auch ein großer Geschichtenerzähler“, sagt Küster. Und so ist es eine besondere Freude, dass er den 35-minütigen ersten Teil von „Beautiful Losers“ über DeVille der DVD-Box hinzugefügt hat. Wie es auch ein besonderes Vergnügen ist, dass man hier auch noch Schnipsel von einem Soundcheck eines Konzertes in Kiel zu sehen bekommt. Dazu ein anrührendes Interview mit dem berühmten, im Jahr 2000 gestorbenen Produzenten Jack Nitzsche, der DeVille für den besten Sänger hielt, mit dem er je zusammengearbeitet habe. Ohne Zweifel war Willy DeVille einer der Besten. Und Diethard Küster hat ihm mit „Still Alive“ ein tolles Denkmal gesetzt.

Die Box „Willy DeVille – Still Alive

(3 DVDs) ist bei Meyer Records erschienen

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