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Musiktheater: Herman schlägt die Schlacht

Furioser Start: Valery Gergiev und sein St. Petersburger Marijnskij-Theater zu Gast in Berlin.

Zar Valery Gergiev ist in der Stadt! Mit einem Gefolge von 350 Leuten residiert der Herrscher aller Musiktheater-Reußen derzeit in der Charlottenburger Bismarckstraße. Während die Deutsche Oper zum Gastspiel im fernen Beijing weilt, nutzt das St. Petersburger Marijnskij-Theater die Berliner Bühne, um anlässlich ihres 225-jährigen Bestehens die ganze Bandbreite ihres Könnens vorzuführen. Im typischen Gergiev-Tempo: Drei verscheidene Opern, zwei Ballett-Produktionen sowie eine Gala mit Gesang und Tanz, insgesamt neun Aufführungen an acht Tagen. Alle sechs Opernabende sowie die Gala leitet der Maestro höchstpersönlich, die zwei freien Tagen nutzt der Rastlose für sein Zweitjob, absolviert mit dem Rotterdam Philharmonisch Orkest schnell noch Auftritte nach Wien und Linz.

Zum Start der von Gazprom und Wintershall gesponserten Residenz der Petersburger in der deutschen Hauptstadt gab es am Dienstag Tschaikowskys „Pique Dame“, und die vielen Russen im Saal machten das einheimische Publikum gleich mit ihren Landessitten vertraut: Handys sind okay (die Konkurrenz schläft schließlich nicht, während ich in der Oper sitze), in den Aktschluss darf hineingeklatscht werden, sobald der Solist den letzten Ton ansetzt, ungeachtet der Länge des instrumentalen Nachspiels. Dabei möchte man von diesem Orchester doch keinen Takt versäumen: Die grandiosen Holzbläser, die so zart und menschlich singen können, der Samtteppich der Violinen, die lodernde Glut der Cello-Gruppe!

Ein Energiebündel, ein Kraftpaket

Die Musiker sind aufgewachsen mit Tschaikowskys in Westeuropa immer etwas stiefmütterlich behandeltem Spieler-Drama, sie lieben, sie leben dieses Stück – und sie sind vollkommen eingeschworen auf den unverwechselbaren Gergiev-Sound, dieses berauschende Dauerespressivo, das zwar manchen groben Kraftausbruch, aber keine falschen Gefühle kennt, das die vierstündige Aufführungsdauer unter einen Spannungsbogen zusammenhält. Keine Ahnung, wie der meistbeschäftigte Maestro der Welt das aushält, wo er die Energie hernimmt. Er ist und bleibt ein Naturereignis.

Und er hat grandiose Sänger an seinem Haus, große, prachtvolle Stimmen selbst noch für die kleinste Nebenrolle. Alexei Markow betört als Jeletzki mit seiner Liebeserklärung, Larissa Diadkowa ist eine Gräfin von stählerner Konstitution, Mlada Chudoleij eine dramatisch auftrumpfende Lisa. Maxim Axenows Herman aber stiehlt allen die Show: Denn er ist Kasachstans Antwort auf Rolando Villazon, ein hübscher Kerl mit kerngesundem Strahletenor, der auf der Bühne unter Starkstrom steht, ein Spielwütiger, der die brav nacherzählende Inszenierung von Alexander Galabin lebendig macht, der einzige Mensch unter all den Opernpuppen, die in historischen Kostümen zwischen wehenden Vorhängen wandeln. Dieser Maxim Axenow könnte vom Marijnskij-Theater aus zu einer Weltkarriere starten, so wie das einst auch Anna Netrebko gelungen ist.

Repräsentiert Galabins „Pique Dame“ in ihrer Schwarz-Weiß-Ästhetik eine wohlfeile Design-Modernität, wie sie auch in Paris und London geschätzt wird, zeigen sich die anderen beiden Inszenierungen russischer: Schostakowitschs „Nase“ zitiert vorstalinistische Sowjet- Avantgarde, „Chowanschtschina“ hingegen kommt als Folklorespektakel daher. Dabei sind die Tickets für den zweiten Durchgang der drei Opernproduktionen kommende Woche übrigens deutlich günstiger als die für den ersten. So funktioniert real existierender Kapitalismus.

Infos: www.deutscheoperberlin.de

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