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Kultur: Musiktheater in Berlin: Wenn die Klassik zur Tapete wird

"Es ist vollständig", tönt die Frauenstimme von irgendwo. "Es ist Fülle und ohne Verlangen .

"Es ist vollständig", tönt die Frauenstimme von irgendwo. "Es ist Fülle und ohne Verlangen ... Licht ist ausreichend und vollkommen ... Kochen ist überholt, man braucht die Hühner nicht mehr anbrennen zu lassen ... Wir können Kinder haben oder Tamagotchis". Schier endlos ist der Redefluss der Sprecher bei "Perfekt leben", dem neusten Musiktheaterprojekt in der Musikmissbrauch!-Reihe von Christian von Borries. "Perfekt leben" geht auf eine 1978 uraufgeführte TV-Oper des amerikanischen Avantgarde-Komponisten Robert Ashley zurück. Von diesem Werk blieben im wesentlichen nur Teile der erzählten Handlung übrig: Ein Mann und eine Frau im Supermarkt einer amerikanischen Kleinstadt; Isolde, die das Alltagsgeschen vor dem Haus ihrer Mutter betrachtet und die Tage zählt; ein pointenloser Banküberfall, durchsetzt von trivialphilosophischen Betrachtungsbrocken, wie sie zu späten Partystunden wie Hintergrundmusik aus den Mündern angesäuselter Intellektueller quellen.

Während die drei Sprecher reden, darf sich das Publikum in den Sophiensälen auf den sauber mit Plastikfolie abgedeckten Matratzen fläzen und auf die vier Videoinstallation an den Wänden schauen. Hotelzimmer, Großmarktimpressionen, geometrisch angeordnete bunte Muster ziehen vorüber. Plattenbausiedlungen, Gewerbegebiete, ein Paar im Auto vor der Ampel, ein Gebrauchtwagenkauf auf der Brachfläche zwischen Hochhäusern. Dazu eine Hintergrundmusik, durch Lautsprecher gefiltert: eine mit leisen elektronischem Piep- und Rauscheffekten verfremdete, entemotionalisierte Schichtung von Renaisscance- und Barockstücken nach dem Modell von Pachelbels ostinatem Kanon: Keine Vergewaltigung der Klassik, eher ihre konsequente Weiterentwicklung zur Tapete, als die wir sie ohnehin oft und gerne benutzen. Nach einer halben Stunde gehen ein paar wenige Zuhörer. Der Rest bleibt: eingelullt von - oder aber im Kampf mit - diesem Ja zum ästhetisierten Genießen des Lebens in der Vermassung. Hier wird der banale Moment erhoben - zum Gegenstand provozierend anklagefreier Kunst.

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